[Wikide-l] "Kritik an der deutschsprachigen Wikipedia"

Ivo Köthnig koethnig at web.de
Mo Sep 12 12:56:06 UTC 2005


Am Samstag 10 September 2005 15:25 schrieb Achim Raschka:
> Moin ihr,
>
> wenn unter einem solchen Titel ein Artikel im Netz erscheint ist das ja
> vollkommen o.k. und man ist ja als sensibilisierter Wikipedianer auch
> durchaus kritikfähig, schwierig wird es allerdings, wenn eindeutig
> linksgerichtete Seiten eine "sachliche" Betrachtung der "Probleme der
> deutschsprachigen Version in den Bereichen Rassismus, Sexismus,
> Eurozentrismus sowie dem Umgang mit rechtsextremen UserInnen thematisieren"
> wollen wie unter
> http://www.xpedient.org/content/modules.php?name=News&file=article&sid=1067
> bzw. dem Original http://no-racism.net/article/1336/

was, wie ich meine, aber durchaus noch einigermaßen gelungen ist. Ziel war ja 
eine Diskussion anzustoßen, nicht uns zu verurteilen. Ich fürchte nur, das 
letztendlich eher eine Diskussion über diesen Artikel, nicht über die Mängel 
in der Wikipedia entsteht (und auch dieser Beitrag von mir ist nicht gerade 
geeignet das zu verhindern).

> Im Fazit: Kritik gerne, dann aber fuindiert, solche Schreibereien ohne
> vernünftige Reschersche sollte man sich jedoch sparen

die im Artikel angesprochen Punkte sind teilweise durchaus ein Problem. 
Allerdings muss man schon fast Wikipedianer sein, um einzusehen, dass viele 
Vorderungen einfach nicht sinnvoll durch-/umsetbar sind, sogerne wir das auch 
hätten. Soviel Recherche, dass man darüber zum Wikipedianer wird, ist aber 
kaum sinnvoll verlangbar. Ein Beitrag, aus welcher Richtung auch immer muss 
schon fast notwendigerweise Fehler enthalten und zumindest solange, wie wir 
nicht selbst fehlerfrei sind, haben wir auch nicht das Recht dies von anderen 
zu verlangen. Abgesehen davon kommt jede Kritik natürlich immer aus irgend 
einer Richtung. Es liegt in der Natur der Sache, dass sie nicht von Personen 
kommen kann, die in allen Punkten neutral sind. Insofern ist also auch Kritik 
von linker Seite nicht nur erlaubt sondern auch erwünscht, gerade auch beim 
Thema Sexismus und Rassismus, zumal dort (neben vielen Idioten) immernoch 
besonders Kompetente Personen zu finden sind, wie auch der Artikel beweist.

Nun also zu der schon angekündigten Kritik am Artikel, statt an uns.

Etwas lächerlich wirkte der Versuch auch konkrete Benutzer zu 
"geschlechtsneutralieren", von denen man mit etwas Recherche das tatsächliche 
oder wenigsten vorgebliche Gechlecht hätte erfahren können.

Und auch ganz allgemein von "BenutzerInnen" und "UserInnen" zu schreiben, 
während man richtigerweise diagnostiziert, dass wir eigentlich (fast) nur 
Männer sind könnte man dem Autor schon fast als latenten Sexismus 
unterstellen. Ich werde das nicht tun, aber verwende das hier mal als 
Aufhänger und Überleitung für die folgenden Abschnitte.

Offensichtlich ist die Wikipedia ja nun ein Projekt jüngeren Datums und damit 
eigentlich nicht vorbelastet, sieht man einmal von der Verwendung der 
deutschen Sprache ab (aber welche sonst sollten wir auch nehmen).

Ich war zwar nicht ganz von Anfang dabei, weiß aber, dass schon mit Beginn des 
Projekt leider diese Männerlastigkeit existierte. Ich für meinen Teil kann 
mich nicht daran erinnern (oder habe derartiges mitbekommen), das irgendwann 
mal Frauen geziehlt wegen ihren Geschlechts gemobbt wurden und unterstelle 
daher Frauen, dass sie mehrheitlich nicht an der Erstellung/Weiterentwicklung 
der Wikipedia interressiert sind, obwohl sie in keiner Weise systematisch 
ausgegrenzt wurden. Eher im Gegenteil; nach meinen Eindruck haben Frauen bei 
uns viel höhere Chancen zur Teilnahme ermutigt zu werden als Männer.

Die einzig echten Hinderungsgründe für Frauen am Projekt zu partizipieren sind 
also die deutsche Sprache und jene Gründe, die sich Frauen (vermutlich 
aufgrund ihrer Sozialisation) selbst auferlegt haben.

Da wir eine deutschprachige Enzyklopädie erarbeiten und in der deutschen 
Sprache das männliche Geschlecht nunmal dominiert muss imho genau dies auch 
in einer deutschprachigen Wikipedia zum Ausdruck kommen, teils freiwillig, 
teils unfreiwillig. Genau deshalb ist nämlich das ästetische Empfinden das 
Kriterium, wenn man danach fragt, wie stark in der Wikipedia 
geschlechtsneutral formuliert werden sollte. An dieser Stelle können wir also 
wenig für Frauen tun (sollte das tatsächlich der Grund sein, dass sie nicht 
am Projekt teilnehmen). Bei den selbstauferlegten Gründen können wir 
natürlich erst recht nichts ändern.

Nichtsdestotrotz ist natürlich auch die deutsche Sprache ständigen 
Veränderungen unterworfen. Obwohl es weder primär noch sekundär (naja, 
vielleicht tertiär) unser Ziel oder unsere Aufgabe ist, so beeinflußt gerade 
unser Projekt die deutsche Sprache vermutlich besonders stark. 

Zumindest gibt es Wortneuschöpfungen wie zum Beispiel "DER Wikipedianer". Auch 
wenn dieses Wort meist in der Pluralform gebraucht wird und dann natürlich 
auch unsere weiblichen Mitstreiterinnen einschließt, so ist es formal 
männlich und man muss sich hier unweigerlich die Frage stellen, ob dies nicht 
zurecht der Fall ist. Für den wesentlich selteneren Fall, das man doch mal im 
Singular von einer weiblichen Mitstreiterin sprechen kann, gibt es immernoch 
die weibliche Form des  Wortes aber niemand geht zu unrecht von einem Mann 
aus, wenn er das Wort "Wikipedianer" hört.

Spätestens jetzt sollte man meiner Meinung nach einsehen, das das 
(Haupt-)Problem nicht die Verwenung einer männlich dominierten Sprache ist, 
sondern die Nicht-Teilnahme der weiblichen Deutschsprechenden.

Und spätestens jetzt sollte man auch bemerken, dass man eine Sprache nicht 
dadurch positiv beinflußt (und zum Beispiel die Dominanz des männlichen 
Geschlechts abschwächt), indem man sie krampfhaft verkompliziert. Entwickeln 
tut sich eine Sprache durch die Menschen, die etwas in ihr zu sagen haben 
(nicht im Sinne von Macht, sondern im Sinne von "sich einbringen"). Und 
zumindest in unserem Projekt wollen Frauen scheinen sehr wenig sagen und 
vertun damit selbst eine Chance auf unsere Sprache einzuwirken.

Zu einem anderen angesprochenen Thema, diesmal ohne polemische Überleitung.
Die "Verwendung des Kreuz-Symbols" vor dem Sterbedatum halte ich persönlich 
zwar auch nicht unbedingt für besonders glücklich, dies aber mit dem "Fakt, 
dass die Mehrheit der Menschen auf dieser Welt nicht nach christlichen 
Glaubenssätzen lebt" zu begründen ist dann aber mehr als dürfig. 
Offensichtlich ist der Fakt, dass die deutschprachige Wikipedia sich nur an 
die deutschsprachigen Menschen richtet (die [leider] sehr wohl noch 
mehrheitlich christlich geprägt sein dürften) dem Autor des Artikels nicht in 
den Sinn gekommen.

Zur Kritik an der Teilnahmeberechtung auch rechtsextremer Personen an der 
Wikipedia bleibt noch zu sagen, dass wir natürlich keinen Einfluß darauf 
haben, was sich diese Idioten auf ihren Foren so vornehmen. Ich persönlich 
glaube nicht, das sie besonders großen Erfolg bei solchen Bestrebungen haben 
werden. Gerade Artikel, die sich mit solchen Themen beschäftigen werden 
häufig beobachtet. Am Ende ist eher zu vermuten, dass diese Personen aufgeben 
oder sich so stark anpassen müssen, dass sie selber ein gutes Stück von ihren 
verkorksten Ideen abrücken. Schon deshalb kann ich sehr gut damit leben, dass 
auch solche Leute bei uns mitmachen dürfen.

-- Ivo Köthnig