[Wikide-l] Besinnung auf Relevanz

Agon S. Buchholz asb at kefk.net
Mi Nov 30 19:23:20 UTC 2005


Ulrich Fuchs wrote:

> Eine Enzyklopädie des 21. Jahrhunderts, die es nicht fertig bringt, 
> wenigstens das Wissen des 20. Jahrhunderts halbwegs vernünftig und 
> zuverlässig aufzubereiten, kannst Du aber in der Pfeife rauchen.

Wieso? Seit wann wird beispielsweise die Blocklaus als Enzyklopädie
danach beurteilt, ob es "wenigstens" das Wissen des "Zedler" vernünftig
aufbereitet hat? Wäre das jemals ein Kriterium gewesen, hätte niemand
jemals die Blocklaus als Enzyklopädie bezeichnen können -- zwischen
Zedler und Blocklaus ist einfach zu viel auf der Strecke geblieben.
Manaches hat mit dem vergleichsweise reduzierten Umfang von B. zu tun,
anderes mit abweichenden Priorisierungen - aber konstituierendes Merkmal
war es für keine mir bekannte allgemeine Enzyklopädie, das Wissen
irgendeiner vergangenen Epoche aufzubereiten.

> Und so lange die Wikipedia im Sinne des kulturuell dauerhaft
> relevanten Wissens noch nicht mal krabbelt, ist alles Gerede von der
> "Enzyklopädie des 21. Jahrhunderts" eben genau das: Nur Gerede.

Was ich schon damals von Dir und anderen Vertretern von so genannten 
"enzyklopädischen Relevanzkriterien" beantwortet bekommen wollte: Nach 
welchem Kriterium, also von welchem erhöhten (höheren, übergeordneten, 
überlegenen) Standpunkt, kannst Du beispielsweise festlegen, was 
"kulturuell dauerhaft relevantes Wissen" sein könnte? Das, was in 
anderen so genannten Enzyklopädien steht und nichts anderes? Ich 
bestreite nicht, dass es sinnvoll wäre, solche Kriterien oder 
Standpunkte zu haben, man bewegt sich dann aber zwangsläufig auf 
totalitären (absoluten, exkludierenden) Pfaden, und das verursacht mir 
Unbehagen. Aus der Weltsicht einer bestimmten Religion oder Ideologie 
mag es möglich sein, "kulturuell dauerhaft relevantes Wissen" zu 
determinieren, nicht jedoch aus einer allgemeingültigen Sichtweise 
heraus, die womöglich auch noch interkulturell tragfähig sein soll (und 
auch diesen Anspruch erhebt Wikipedia ja als internationales Projekt, 
dessen einzelne Sprachversionen eben nur als Sprachvarietäten eines 
Gesamtprojekts verstanden werden sollen).

Was Du m.E. einfach nicht sehen willst ist, dass enzyklopädisches 
relevantes Wissen möglicherweise genau das sein könnte, was Benutzer in 
der Wikipedia hinterlassen, zu hinterlassen versuchen oder eben 
nachschlagen. Wissen ist per Definition biografisch gebunden und kann 
daher nicht als absolut gültige Entität erscheinen. Platt gesagt, eine 
ernst gemeinte Enzyklopädie wird nicht den Anspruch erheben können, wie 
die zehn Gebote von einem Gott als absolutes Wissen gnadenvoll erteilt 
worden zu sein, sondern muß etwas mit den Wissensbedürfnissen der 
Benutzer zu tun haben. Wenn Wikipedia-Benutzer beispielsweise nur nach 
[[Sex]] nachschlagen würden (was nicht der Fall ist), wäre das m.E. ein 
Informationsbedürfnis, das man sehr ernst nehmen und nicht als 
Schmuddelkram aus der Welt reden wollen sollte.

In diesem Punkt, nämlich dass enzyklopädisch relevant nur das sein kann, 
was Leute auch wissen wollen, irrt sich m.E. auch Blocklaus ganz fatal; 
m.W. wird dort viel zu wenig Benutzerforschung betrieben, wan weiß nicht 
wirklich, was die Benutzer wissen wollen, und ich habe den Verdacht, 
dass man es eigentlich auch gar nicht wissen will -- Blocklaus will 
schließlich seine Weltsicht verbreiten, auch das ist seit Jahrhunderten 
Programmatik von Enzyklopdie, und dieses Prinzip wird erstmals in der 
Geschichte von Wikipedia ansatzweise auf den Kopf gestellt.

Nach welchen (m.E. sehr unlauteren und ziemlich unwissenschaftlichen) 
Kriterien die Konstruktion der Weltsicht à la Blocklaus geschieht, hat 
uns doch kürzlich erst Mathias wieder demonstriert am Beispiel der in 
Blocklaus-Publikationen munter mutierenden Beiträge zu "Wikipedia" und 
"Enzyklopädie". Was manch einer für "enzyklopädisch relevant" halten 
mag, ist ein Wissensverständnis, das von Akteurern wie dem BIFAB unter 
Ausschluß der Wissensnachfrager ankonditioniert wurde und somit nicht 
allzu weit vom Pawlowschen Reflex entfernt ist - weil es leider allzu 
unreflektiert ist.

MfG -asb