[Wikide-l] Wikipedia ist politisch nicht aktiv. Scheiss drauf

Gerhard Jahnke Gerhard.Jahnke at gmx.de
Di Jun 21 20:00:21 UTC 2005


Hallo,

am Mon, 20 Jun 2005 02:09:27 +0200 schrieb Agon S. Buchholz:

> angeblich
> veröffentlichen Zeitungen die Adresse des Leserbriefschreibers, so
> behauptest Du

Fränkischer Tag, Bamberg. Nicht angeblich, Leserbriefe werden nur mit
vollständiger Postanschrift veröffentlicht. Ist meines Wisens auch bei
anderen Regionalzeitungen üblich, bei Zeitschriften allerdings nicht.

> Tatsächlich habe ich jedoch noch in keiner Zeitung oder Zeitschrift
> einen vollständigen Adressdatensatz unter einem Adressdatensazu gesehen,

Nur weil Dir dies bisher entgangen ist, musst Du mich ja nicht gleich der
Lüge ("angeblich") bezichtigen.

> Die Analogie zwischen Leserbrief und Website-Impressum ist also völlig
> schief

Wie Thomas schon schrieb, wäre der Herausgeber der Zeitung der bessere
Vergleich gewesen. Hier ist die Nennung des Verantwortlichen sogar
ebenfalls vorgeschrieben. Müsste nicht zwingend so sein, ist aber so.

> halten, auch wenn man sie nicht befürwortet, halte ich für einen Teil
> des 'fairen Umgangs' miteinander". Also forderst Du, "Vorschriften" aus
> Prinzip einzuhalten und nicht zu hinterfragen,

Einzuhalten ja. Sie nicht zu hinterfragen: Wie kommst Du darauf, dass ich
das gemeint haben könnte? Was denkst Du, was das "erstmal" bedeuten sollte,
als Vorschriften zu ändern zu versuchen, die man für falsch hält? Natürlich
sollte man Vorschriften hinterfragen, sogar die, die man für richtig hält.
Ein liberaler Staat sollte versuchen, mit so wenig Vorschriften auszukommen
wie möglich. Und die, die er erlässt, sollten eingehalten werden.

> Du vergisst dabei, oder möchtest vergessen machen, dass "ungesetzlich"
> eben nicht gleichbedeutend mit "unrecht" ist, und dass ein solches
> Verhalten in einer Demokratie weder konstruktiv noch erwünscht ist; was
> Du beschreibst, ist vielmehr eine absolutierte Form der Schweigespirale.

Natürlich ist gesetzestreues Verhalten in einer Demokratrie erwünscht und
normalerweise auch konstruktiv. Gesetzwidriges Verhalten kann auch
konstruktiv sein, das ist aber eher die Ausnahme. Sich an Vorschriften zu
halten, die man für eher falsch hält, heißt aber doch nicht, dass man sie
nicht versucht zu ändern oder gar dass man darüber schweigt.

> Und Beispiele für unrechte Gesetze hat es wohl in unserer Geschichte zu
> genüge gegeben.

Nach 1949 zum Glück nicht mehr so viele, zumindest in der BRD. Und einige
der schlimmsten wurden gerade durch die veranlasst, die glaubten, im Namen
eines höheren Rechts an keine Gesetze gebunden zu sein.

> Einen irgendwie zwingenden Zusammenhang zwischen "fairem
> Umgang" und so genannter Gesetzestreue sehe ich in diesem Kontext
> endgültig nicht mehr. Ein "fairer Umgang" ist eine moralische Forderung,
> "gesetzestreue" dagegen eine normative; gerade ethisches Handeln kann ja
> bekanntlich mit Gesetzestreue kollidieren.

Da Du aus meiner Aussage etwas völlig anderes konstruierst, als ich
geschrieben oder gar gemeint habe, wundert es mich nicht, dass Du mir nicht
zustimmst. Sinnvolle Argumentation ist das allerdings nicht.

> Tatsache ist nun einmal, dass beispielsweise weder die französische
> noch die US-amerikanische Verfassung in ihren heutigen Formen existieren
> würden, wenn es nicht die Möglichkeit gegeben hätte, anonym zu
> publizieren.

Es wäre mir neu, dass diese ursprünglich in demokratischen Staaten
durchgesetzt wurden. Und die Möglichkeit anonymer Publikation war sicher
nicht der wichtigste Punkt zu ihrer Durchsetzung, ohne eine solche gäbe es
beide Verfassungen sicher in sehr ähnlicher Form.

> Einstellungen eines derartig duckmäuserischen und vor allem
> unreflektierten Obrigkeitsgehorsams

Dass ich nicht zu Obrigkeitsgehorsam neige, solltest gerade Du wissen.

> in dem von Dir immer wieder vorgeführten Geist

Ich glaube weder an Geister, noch führe ich solche vor. Was versuchst Du
mir hier vorzuwerfen?

> aufgrund ihrer Anonymität suspekt sind; und dass es "notwendig" ist, sie
> in der Versionsgeschichte zu versenken, obwohl sie vielleicht richtig
> und wichtig sind, aber irgendjemandem nicht genehm sein könnten oder

Aus welchem meiner Sätze schließt Du, ich würde solchen Unsinn befürworten?

> womöglich sogar gegen "Vorschriften" verstoßen (wenn ich mich dann noch
> erinnere, wie man solche "Vorschriften" auch noch selbst erlassen oder
> einfach beugen kann, möchte ich gar nicht darüber nachdenken, was für
> eine "Ethik" hinter einer solchen Denk- oder vielmehr Gehorchenwollweise
> steht).

Mit "Vorschriften" meinte ich solche des Strafrechts, zum Beispiel üble
Nachrede und ähnliches. Wie sollte man solche einfach "erlassen" können?

Falls Du auf WP-interne Vorschriften anspielst: Um solche ging es mir
nicht. Außerdem bist da eher Du der Hardliner, nicht ich.

> Außerdem verstehe ich überhaupt nicht, wie Du angeblich *für* anonyme
> Edits in der Wikipedia eintreten und gleichzeitig für straff
> gesetzestreue Auslegung

Für "straff gesetzestreue Auslegung" (was soll das überhaupt sein?) habe
ich mich nicht ausgesprochen, sondern für die Einhaltung von Gesetzen.

> unsinniger Impressumspflichten in Website-Impressa eintreten kannst.

Im Gegensatz zu Dir halte ich die Impressumpflicht nicht per se für
unsinnig, das ist vielleicht nicht ganz klar geworden. Dass ich die
Abmahnung von Privatleuten wegen trivialer Verstöße gegen diese für
sittenwidrig halte, hatte ich aber auch geschrieben. Insofern gehen Deine
Vorwürfe ziemlich weit an mir vorbei.

> Entweder man akzeptiert die
> grundsätzliche Berechtigung und Notwendigkeit von Anonymität

Die muss man aber nicht überall und für alles akzeptieren. Extrempositionen
misstraue ich grundsätzlich, Sätze die "immer" oder "nie" enthalten oder
implizieren, sind meiner Erfahrung nach (fast) immer falsch und (fast) nie
richtig.

> und damit
> auch die von Grenzüberschreitungen (wie dem Ignorieren von unsinnigen
> Plichtangaben in Impressa),

Das ist absoluter Unsinn, das folgt nicht aus dem. In der WP sind anonyme
Edits ausdrücklich zugelassen, damit erlaubt. Das Ignorieren von Deiner
Meinung nach unsinnigen Pflichtangaben im Impressum ist eine provokative
Normübertretung. Diese mag als politische Aktion sinnvoll sein, ist aber
nur dann wirklich politisch, wenn man die Folgen dann auch hinnimmt.

> oder man möchte eben grundsätzlich gläserne
> Akteure (und ist dann falsch in der Wikipedia).

Diesmal doppelt falsch: WP wäre durchaus auch möglich, wenn man wie bei
Wikiweise nur angemeldete Nutzer editieren ließe. Und was an einer Stelle
sinnvoll erscheint, muss es nicht zwangsläufig an anderer Stelle sein. Die
Welt ist bunt, nicht schwarz-weiß.

Gruß, Gerhard aka Perrak