Hi Mathias,
ich werde auch etwas brauchen, deinen Beitrag hier zu lesen. Kurze Frage:
Ist angedacht, den wöchentlichen Bericht irgendwo dauerhaft im Netz (z. B.
Blog) zu hinterlegen oder wird es bei der Information über die Mailingliste
bleiben? Einerseits würde ich gerne (z. B. über tag) einzelne Themen in
ihrer Chronologie nachvollziehen können, zum anderen würde ich gern auch auf
Informationen (Abschnitte) verlinken können (z. B. im eigenen Blog).
Kurze Antwort wäre lieb. Ansonsten: Dickes Lob für die gute Arbeit!
Herzliche Grüße
Michael
Am 27. Juli 2009 20:19 schrieb Mathias Schindler <
mathias.schindler(a)gmail.com>gt;:
Liebe Zielgruppe,
nach weiteren zwei Wochen melde ich mich mit einem semi-Wochenbericht
(Semiwochen-Bericht? Biwöchentlich?) zurück.
1. Wikipedia Academy NIH
Bevor Frank Schulenburg Angestellter der Wikimedia Foundation wurde,
startete er in Deutschland die "Wikipedia Academy" (erste:
http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Academy_2006). Einen Ableger
dieser Veranstaltung gibt es nun seit letzter Woche auch in den USA
(
http://en.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Academy/NIH_2009). Wir hatten
das große Glück, als Kooperationspartner die NIH zu gewinnen, die
National Institutes of Health. Die NIH sind eine sehr große und
angesehene Gruppe von Einrichtungen im Bereich der biomedizinischen
Forschung, die übrigens auch im Bereich der Open Access-Förderung ganz
hervorragende Arbeit geleistet haben. Was die NIH selbst produziert,
ist "PD-GOV", also gemeinfrei dank US-Regierung. Das Wikimedia-Team,
das der Einladung der NIH nach Bethesda gefolgt ist, konnte einen Tag
lang Wikipedia erklären, in Workshops ging es beispielsweise um erste
Schritte beim Bearbeiten von Artiklen. Mein Fokus dort waren erste
Gespräche, um größere Bestände "freizueisen", was dank dem erwähnten
PD-GOV weniger eine lizenzrechtliche Frage ist als die praktische
Frage, welche Daten wo liegen und wie man sie am geschickstesten
hochladen kann ist. Wir werden uns einen Blick über die Bestände der
einzelnen NIH-Institute verschaffen und schauen, welche beispielsweise
in Wikimedia Commons gut aufgehoben wären. Großes Interesse gab es in
der Abschlussrunde zum Thema Verlinkungen mittels frei zugänglicher
Klassifikationen oder all das, was wir unter "Normdaten" verstehen. Im
Bereich der Biomed-Artikel auf
en.wikipedia.org wird bereits eifrig
davon Gebrauch gemacht - und dabei leider oft der eigentliche Artikel
etwas vernachlässigt (zufällig herausgegriffenes Beispiel
http://en.wikipedia.org/wiki/XRCC6, vor allem in der Infobox). An
dieser Stelle verweise ich auch auf
data.gov, einen Sammelort für
Regierungsdatenbanken zum freien Benutzen, etwas, das ich mir auch für
Deutschland und Europa wünschen würde. Wir werden in den kommenden
Wochen das NIH bei der Erstellung einer Policy bei Fragen zur Seite
stehen, die den Angestellten die Mitarbeit in Wikipedia auch während
ihrer Arbeit erlaubt. Ein Blogposting dazu ist in Arbeit.
Randnotiz: Es ist erstaunlich, wie viel Unterschied ein gut gemachtes
Interface bei der Motivation macht, Bilder hochzuladen. Unter
http://picasaweb.google.de/mathias.schindler/NIH# habe ich ein paar
Bilder von der Veranstaltung abgelegt, es ist derzeit jedoch ungleich
schmerzhafter, diese Bilder dann auf Commons hochzuladen. Ja, ich
kenne übrigens auch den Commonist, frage mich aber, warum es nicht
möglich ist, etwas ähnliches direkt in einer Web-Oberfläche zu
implementieren. Augenfälligstes Beispiel: Warum muss ich ein
Aufnahmedatum eingeben, wenn diese Angaben schon in den EXIF-Daten
stehen?
2. Videos, Wikipedia und der ganze Rest
In den letzten zwei Wochen ging es in der Presse wieder hoch her wegen
"Videos auf Wikipedia" (beispielsweise
http://www.heise.de/newsticker/Open-Source-Videodienst-Kaltura-fordert-Yout…
).
Dabei gerät fast in Vergessenheit, dass schon jetzt Videos in
Wikipedia eingebunden werden können (völlige Fehldarstellung der Lage
auf
http://news.cnet.com/8301-27076_3-10289952-248.html). All die
damit verbundenen Probleme auf der inhaltlichen Ebene kann man
beispielsweise bei
http://en.wikipedia.org/wiki/Joint_Strike_Fighter#Design_phase
entdecken. Das dort eingebundene Video würde
(
http://en.wikipedia.org/wiki/File:Air_Force_Link_-_TV11.ogv), wenn es
Text wäre, noch nicht einmal für einen NPOV-Warnbaustein reichen
sondern gleich als Werbespam gelöscht werden. Wir haben hier also ein
Video in mäßig niedriger Auflösung und "coolen" Bildern, das überlegt
ist mit einem durchaus professionell gelesenen Werbetext für eine neue
Art, Dinge und Menschen kaputtzumachen. Der einzige Ort, um auch nur
schwach für jeden Leser sichtbar den bias dieses Materials darzulegen,
wäre die Bildbeschreibungszeile beim Einbinden des Videos in einen
Artikel. Oder das mühsame und derzeit technisch kaum umzusetzende
Editieren der Tonspur oder - noch aufwändiger - das Bearbeiten des
Videos hin zu einem ausgewogenen Eindruck über den JSF. Sofern es um
Wikipedia geht, werden Videos meiner Meinung nach nur in
Ausnahmefällen wirklich brauchbar sein. Ich befürchte, dass viele
Videos - wenn sie einen informationellen Mehrwert bieten, dieser mit
Mängeln erkauft wird, die wir derzeit nicht einfach beheben können.
Die Videos haben wenn, dann als "Footage" derzeit eine Chance, maximal
in der Form, wie der Fernsehkanal Phoenix einmal vor vielen Jahren
gestartet ist oder wie es C-SPAN heute noch macht. Kurz gefasst als
Behauptung: Videos sind in Wikipedia vor allem dann passend, wenn sie
für sich alleine stehen können und nicht erst noch bearbeitet wurden,
ob jetzt innerhalb oder außerhalb von Wikimedia/Kaltura.
3. Die Gefahren unfreier Werke
Zum 31. Juli 2009 wird das Portal "xipolis.net" abgestellt. Die
Senioren unter uns werden vielleicht davon schonmal gehört haben. An
diesem Ort stellte BIFAB zum ersten Mal den Text der
Brockhaus-Enzyklopädie (kostenpflichtig) ins Netz.
www.brockhaus-enzyklopaedie.de ist inzwischen offenbar in den Besitz
von Bertelsmann/wissenmedia übergegangen (die historische Ironie wird
am besten durch
http://www.heise.de/newsticker/Bertelsmann-bedraengt-Brockhaus-Eigenes-Wiss…
ausgedrückt), zumindest das Impressum hat sich diesbezüglich geändert.
Nach meinen Informationen ist der letzte Ort, um auf Brockhaus-Lexika
zugreifen zu können die Seite
http://munzinger.de/search/query?f=query&qid=query-12y-12. Ich bezweifle,
dass die Inhalte dort noch gepflegt werden. Nicht erst in Zeiten der
Finanzkrise sind Webdienste etwas sehr Vergängliches. Ich bin darum
froh über jede Seite, die komplette Abzüge ihrer Datenbank anbietet:
http://download.wikimedia.org/dewiki/20090710/. Das ist die Freiheit,
die wir meinen und die möglicherweise auch irgendwann einmal den
Nutzern von Seiten wie pons.eu, wissen.de oder spiegel.de vor Augen
geführt wird, um willkürlich ein paar Namen zu nennen, stellvertretend
für eine ganze Industrie.
4. Die Gefahren unfreier Links
Eine illustre Runde von Verlegern trommelt gerade massiv für die
Schaffung eines Leistungsschutzrechts für ihren Stand. Das Feindbild
wird in etwa so aufgebaut, dass man für alle Welt sichtbar Inhalte ins
Netz stelle und dann Google daherkäme und Geld mit Diensten wie
"Google News" verdienen würde, das ja *eigentlich* den Verlegern
zustünde. Dazu wurde eine "Hamburger Erklärung" veröffentlicht, die
den argumentativen Rahmen dieser Wünsche abstecken soll:
http://www.epceurope.org/presscentre/archive/International_publishers_deman…
Wenn man sich anschaut, was Google News eigentlich technisch Banales
macht, kann einem schon angst und bange ob der Empörung der Verleger
werden: Google wertet die robots.txt von Webseiten aus. Erlauben die
Einstellungen das Crawlen der Webseiten (oder fehlt eine solche
Datei), ruft ein Roboter die Seiten ab und indexiert den dort
sichtbaren Volltext. Wenn nun ein Kunde auf news.google.de einen
Begriff eingibt, werden alle Seiten im Index angezeigt, die diesen
Begriff enthalten. Entweder sortiert nach "Relevanz" oder nach
zeitlicher Abfolge. Außerdem sortiert ein Roboter alle ankommenden
Nachrichten in Themenblöcke und zeigt jene Themen prominent an, die
gerade für die gedachte Zielgruppe (oder einen einzelnen registrierten
Nutzer) relevant sein könnten. Volltexte werden auf Google news nicht
angezeigt, nur die jeweilige Trefferumgebung oder eine Überschrift und
ein paar Metadaten. Für den Nutzer relevant: Ein direkter Link auf den
eigentlichen Artikel auf der jeweiligen Seite der Publikation.
Soweit ich weiß gibt es bis heute keinen Gesetzesentwurf für das
gewünschte Leistungsschutzrecht. Angesichts der geäußerten
Begehrlichkeiten der Verlage sieht das für mich jedoch nach einem
direkten Angriff auf die Freiheit, Seiten Dritter ohne deren explizite
Erlaubnis verlinken zu dürfen aus. In Deutschland war seit 2001 diese
Frage seit der BGH-Entscheidung zu Paperboy (sowas wie Google News des
"Web 1.0", wenn es das gäbe) eigentlich klar: Wer Inhalte ins Netz
stellt, muss damit leben, wenn sie verlinkt werden. Die kommerziellen
Interesse von Verlagen stehen hinter den Funktionsprinzipien des Web
zurück.
http://www.jurpc.de/rechtspr/20030274.htm . Dazu O-Ton BGH in
erfreulicher Klarheit: " Ohne die Inanspruchnahme von Suchdiensten und
deren Einsatz von Hyperlinks (gerade in der Form von Deep-Links) wäre
die sinnvolle Nutzung der unübersehbaren Informationsfülle im World
Wide Web praktisch ausgeschlossen. Ein Berechtigter, der die Vorteile
des World Wide Web, die gerade auch auf der Hyperlinktechnik beruhen,
für seine Angebote in Anspruch nimmt, kann es deshalb nicht als
unlautere Behinderung beanstanden, wenn andere die Hyperlinktechnik
zur Erschließung seines eigenen Webangebots für die Öffentlichkeit
nutzen.". Erst wenn ein konkreter Gesetzesentwurf vorliegt, wird man
wissen, wie weit sich Verleger durchlobbyiert haben, diesen Zustand zu
unterwandern. In allerletzter Konsequenz droht hier Wikipedia eine
Gefahr in der Freiheit, alles und jeden verlinken zu dürfen, der aus
unserer Sicht einem Nutzer einen informationellen Mehrwert bietet.
Umgekehrt muss man fragen, warum sich Verlage so sehr ins Knie
schießen wollen. Nachrichtenseiten bekommen enormen Traffic über
Google und Google News und befeuern damit ihre Einnahmen aus dem
Bannergeschäft. Schon jetzt könnten sie einfach durch einen Eintrag in
der robots.txt die Inhalte aus Google herausnehmen. Es geht also
letztlich um ein "have a cake and eat it too": Google soll Verlagen
Geld dafür zahlen, dass Google die Leser auf die Verlagsseiten
weiterleiten darf und dass damit die Verlage Umsatzeinnahmen mit
Werbung auf ihren Seiten machen können. Klar, mein Wirt gibt mir auch
immer Geld, damit ich bei ihm mein alkoholfreies Weizen oder mein Glas
Milch (hüstel) trinke.
Für solche Befürchtungen sollte man sich vielleicht noch eine Weile
zurücklehnen und warten, in welche Richtung das Sperrfeuer primär
gegen Google (Spiegel Online sagt dazu: "Sie schimpfen auf Google und
meinen das Internet"
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,637021,00.html) weiter
gehen wird. Eine Bekannte vermutet, dass es den Verlagen im ersten
Schritt eh erstmal darum gehen wird, überhaupt ein
Leistungsschutzrecht zu bekommen, weil ab dann der Aufwand für die
Ausdehnung auf andere Bereiche (mit dem Alibi "wir stellen nur den
alten - eigentlich gemeinten - Zustand wieder her) deutlich sinkt. Für
mich zentral ist bis dann die einfache mit ja oder nein beantwortbare
Frage (beispielsweise an Verlage): Wollt ihr ein Gesetz, das die
Paperboy-Entscheidung aufhebt? Wenn ja, haben wir eine neue Bedrohung
für Wikipedia und das Internet insgesamt.
5. Die Chance, 20 NPG-Keilereien zu verhindern (aka Wikipedia GLAM
conference)
Am 6. und 7. August werden das National War Memorial in Canberra,
Australien und Wikimedia Australien eine Konferenz zu Kooperationen
zwischen "Wikipedia" (und dem Wikimedia-Universum) und den G allerien,
L ibraries, A rchiven und M useen ausrichten. Unter
http://wikimedia.org.au/wiki/GLAM finden sich weitere Informationen.
Die Zwischenüberschrift ist bewusst gewählt. Jede erfolgreiche
Kooperation erspart Wikimedia oder individuellen Aktiven bei
Wikimedia-Projekten unnötigen Stress, juristische Drohungen oder am
Ende auch eine Klage. Dabei geht es nicht darum, dass wir inhaltlich
von der Position abrücken müssen, dass Reproduktionen von gemeinfreien
Werken ebenfalls gemeinfrei sind. Ich werde auf dieser Konferenz von
den Projekten aus Deutschland berichten. In Sachen NPG habe ich dazu
letzte Woche kurz gebloggt
(
http://blog.wikimedia.de/2009/07/21/wikimedia-commons-national-portrait-gal…
,
danke auch an die Kommentatoren). Die Wikimedia Foundation ist, soweit
ich das mitbekommen habe, derzeit noch in Gesprächen mit der NPG über
eine Beilegung des Streits in einer Weise, die sowohl
Wikipedia/Wikimedia Commons als auch der NPG genügen dürfte.
In Sachen NPG noch ein Linktipp:
http://blog.kennisland.nl/knowledgeland/2009/07/26/uk_national_portrait_gal…
6. Die Chance, NPG-Keilereien ein für allemal zu verhindern (aka
höchst lesenswerter Artikel)
Unter
http://ingenta.yakeworld.ddns.info/content/mohr/zge/2009/00000001/00000002/…
findet sich - für 33 US-Dollar plus Steuern - ein ausführlicher
Aufsatz von Felix Stang, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl
für Bürgerliches Recht, Recht des Geistigen Eigentums und
Wettbewerbsrecht an der Uni Bonn zur Frage, wie es denn nun um die
Abbildungen von gemeinfreien Werken auf Wikipedia und Wikimedia
Commons steht. Ich habe den Aufsatz seit vorgestern gedruckt vor mir
und werde noch ein bisschen brauchen, um ihn komplett nachvollziehen
zu können. Bisher sieht es sehr solide aus.
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