[Wikide-l] Re: Loeschwahn und fachkundige Mitarbeiter

Agon S. Buchholz asb at kefk.net
So Jul 24 13:33:49 UTC 2005


Melvin Lafalle wrote:

[ Erst-/ Zwei-/ Drittklassige Enzyklopädien ]

> hast Du auch ein paar Beispiele für zweitklassige?

Ja sicher, schau mal in die Enzyklopädie-Artikel der Wikipedia, da wirst 
du unter den historischen etwa ab dem 17. Jahrhundert zahlreiche 
Beispiele für *bessere* deutschsprachige Enzyklopädien finden; einige 
davon sind unvollendet, konnten ihren umfassenden Anspruch also nicht 
einlösen und können daher nicht als erstklassig bezeichnet werden, 
hatten aber dennoch die überlegenen Konzepte und Programmatiken.

[ Tendenziösität und Neutralität ]

> einen neutralen Standpunkt gibt es nicht wirklich, das weißt Du auch,
> aber hast Du Beispiele für tendentiöse Artikel, das würde mich
> wirklich sehr interessieren.

Den *einen* neutralen Standpunkt gibt es nicht, aber der Grundsatz 
besagt ja auch, dass nicht *ein* pseudo-objektiver (und somit per 
definitionem lügender) Standpunkt gesucht werden soll, sondern 
kontroverse Positionen gleichwertig gegeneinander gestellt werden 
müssen, in einer Form, die Vertreter der Gegenposition akzeptieren 
können. Blocklaus behauptet zwar, nicht zu werten, unterschlägt aber 
alle Standpunkte außer genau einem normativ festgesetzten; das ist ein 
essentieller Unterschied zum NPOV-Ansatz der Wikipedia und die größte 
enzyklopädische Schwäche von Blocklaus.

Über Tendenziösität von Blocklaus & Co. zu debattieren ist hier nicht 
der geeignete Rahmen; ich werde mich dazu auch außerhalb des 
wissenschatflichen Umfeldes sicherlich nicht öffentlich äußern, weil ich 
keine Lust auf auf eine dritte Rechtsstreitigkeit habe. Google 
beispielsweise einfach mal ein wenig zu Begriffen wie "Antisemitismus", 
"Sündenbock", "Sozialneid", "Hep-Hep-Verfolgungen" oder "Geschichte 
Palästinas" in Verbindung mit Blocklaus oder meinetwegen auch Enquarta, 
da solltest Du ein paar Ansatzpunkte für weitere Recherchen finden 
können. Tendenziösität kann man übrigens m.E. nicht an ein paar Worten 
festmachen, man muss sich sehr intensiv in die Materie einarbeiten und 
sehr, sehr viel Aufwand treiben, um nicht scheinbar schlüssigen 
Argumentationsketten und irreführenden Bestätigungen eigenen Vor-Wissens 
auf den Leim zu gehen.

[ Fach- und Spezialenzyklopädien ]

> welche fallen Dir da ein?

Auch hier wieder nur der Hinweis auf Wikipedia, wir haben eine Reihe von 
Artikeln zu einschlägigen zeitgenössischen Nachschlagewerken; die 
meisten Fachdisziplinen haben eine Handvoll einschlägiger Werke, dazu 
gehören sicherlich der Pauly für die Altertumswissenschaften, der 
Prechtl/Burkard für die Philosophie, das Lexikon des Mittelalters für 
die historischen Wissenschaften sowie ADB bzw. NDB usw.

> der GATS-Artikel ist wirklich sehr schön, richtig Murks scheint mir
> der viel zu kurze GATS-Artikel im Brockhaus aber auch nicht zu sein,
> oder?

Er ist so kurz, dass er bei uns wohl als Stub abqualifiziert werden 
würde. Ich habe mal einen exemplarischen Vergleich mit Blocklaus 
multimedial gemacht (bei der Blocklaus Enzyklopädie könnte man 
behaupten, die Artikelqulität scheitere am Redaktionsschluß); das 
Blocklaus-Drama fängt damit an, dass "GATS" ausschließlich als "Global 
Automotive Telematics Standard" lemmatisiert ist und das Akronym keine 
Querverweise auf den vorhandenen Artikelkrümel enthält; man muss den 
vollen Titel des Abkommens ("General Agreement on Trade in Services") 
kennen und in die Suchbox eintippern. Ob das einfachn nur Schlampigkeit 
oder Absicht ist kann ich natürlich nicht beurteilen. Blocklaus bietet 
dann eine Artikellänge von weniger als 60 Wörten, das ist bei uns 
nichtmal der einführende Absatz; der (wirkich nicht besonders gelungene) 
Wikipedia-Artikel ist etwa 1.800 Worte lang, also gut 32-fach länger als 
der Blocklaus-Krümel. Unser Artikel geht auf Geschichte, Bedeutung und 
Probleme des Abkommens ein, bei Blocklaus gibt es kein Wort dazu. Wenn 
man dann mal überlegt, dass sich bei Blocklaus die Bedeutung eines 
Lemmas über den Artikelumfang (!) artikuliert, ist der Eintrag zu GATS 
schon geradezu eine Obszönität.

[ Ziel der Wikipedia ]

> halte ich dieses Ziel für schlicht uneinlösbar, ich
> sehe nicht, wo die Wikipedia das einlösen würde.

Zum Wesen der Enzyklopädie gehört eine Programmatik; so lange die 
Wikipedia so etwas nicht entwickelt, kann sie sich noch sehr um einen 
angeblichen enzyklopädischen Anspruch bemühen, erreichen kann sie dieses 
Ziel ohne eine solche Programmatik nicht -- sie wird sonst immer ein 
mehr oder minder gelungenes Nachschlagewerk bleiben. Wie Wikipedia die 
noch zu definierende Programmatik einlöst, ist eine gänzlich andere 
Diskussion. Was ich angeboten habe, ist lediglich *mein* Vorschlag für 
eine solche enzyklopädisch leitende Programmatik, kein Konsens mit 
irgendwem ;)

MfG -asb


[1] 
http://www.kefk.net/Politik/Alternative.Medien/Fallstudien/Freies.Wissen/Wikipedia/GATS/