[Wikide-l] URV und Buchfotografieren

Klaus Graf klaus.graf at geschichte.uni-freiburg.de
Do Feb 17 18:20:33 UTC 2005


On Thu, 17 Feb 2005 18:40:55 +0100
 "Agon S. Buchholz" <asb at kefk.net> wrote:
> Klaus Graf wrote:
> 
> > Es gibt kein Leistungsschutzrecht fuer den Reprint
> eines
> > gemeinfreien Werks.
> 
> Dann erklär' mir mal, auf welcher Rechtsgrundlage
> beispielsweise für die digitalisierte Version des
> "Krünitz" explizit Nutzungs- und Verwertungsrechte
> beansprucht werden:
> 
> "Inhaberin der Nutzungs- und Verwertungsrechte der
> „Oekonomischen Encyklopädie oder allgemeines System der
> Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft“, Autor Johann
> Georg Krünitz, in der von der Universitätsbibliothek
> Trier erstellten digitalen Version ist die Universität
> Trier/Universitätsbibliothek im Sinne von §70 Abs. 1
> UrhG. Dies gilt insbesondere für alle Fragen der
> Lizenznahme sowie sonstigen kommerziellen Nutzung dieser
> Version. Eine missbräuchliche Nutzung wird straf- und
> zivilrechtlich verfolgt." [1]
> 
> Par. 70 UrhG behandelt "Wissenschaftliche Ausgaben", er
> gehört zu Teil 2, Abschn. 1 des Gesetzes, und dieser
> behandelt den "Schutz bestimmter Ausgaben". In diesem
> Sinne sind wissenschaftliche Ausgaben für 25 Jahre nach
> Erscheinen der Ausgabe bzw. nach Herstellung geschützt.
> Die Schutzdauer wurde durch das Produktpirateriegesetz
> vom 7.3.1990 von 10 auf 25 Jahre verlängert.
> 
> Falls Du bessere Rechtsquellen haben solltest, klär' uns
> bitte auf, warum die Universitätsbibliothek Trier Deiner
> Ansicht nach keine Nutzungs- und Verwertungsrechte
> beanspruchen kann.

Da ich mich seit vielen Jahren auch mit dem § 70 UrhG
befasse, faellt mir das ausserordentlich leicht.

Siehe auch
http://www.google.de/search?q=%2270+urhg%22&hl=de&lr=&start=20&sa=N

Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 2004, § 70 Rdnr. 7
kommentiert: "Die Ausgabe muss das Ergebnis
wissenschaftlich sichtender Taetigkeit sein. Der Schutz
wird also nicht bereits durch das bloße Auffinden eines
alten Schriftstücks begründet, sondern erst durch die
wissenschaftlich fundierte Herstellung eines bisher
unbekannten Originaltextes. Entscheidend ist die nach
wissenschaftlichen Methoden erfolgende sichtende, ordnende
und abwägende Tätigkeit". Ausserdem muss sich die Ausgabe
wesentlich von bisherigen Ausgaben unterscheiden.

Der Kruenitz erfuellt nach meiner Ansicht diese Kriterien
nicht, da er im Kern lediglich Faksimiles der
Originalausgabe enthaelt. Diese sind zwar wissenschaftlich
eingebettet, aber ob eine solche Einbettung auch zur Folge
hat, dass einzelne Abbildungen nicht entommen werden
duerfen, ist gerichtlich nicht entschieden, wie ich
ueberhaupt erstaunt bin, mit welcher geradezu kriminellen
Energie eine oeffentliche Institution durch eine unerhoerte
Neuinterpretation eine reiche Public Domain schaedigt.

Bis zum Urteil ueber die Himmelsscheibe von Nebra war der
verwandte § 71 UrhG fast belanglos, sieht man vom Bereich
der Musikedition ab. Nun steht man staunend vor dem
dreisten Anspruch der UB Trier zu § 70 UrhG, der nach
meiner Einschaetzung einigermassen originell zu nennen ist
und keinesfalls den ueblichen Kenntnisstand von
Digitalisierungsprojekten widerspiegelt.

In Anbetracht des Schutzzwecks von § 70, mit dem der
Gesetzgeber nicht nur hohe Kosten (die hatte die UB Trier
sicher), sondern auch "bedeutende wissenschaftliche Arbeit"
 belohnen wollte, und der Gemeinfreiheit des Kruenitz wird
man den wohl den unbestreitbar bestehenden Schutz als
einfache Datenbank und den urheberrechtlichen Schutz (§ 2)
der wissenschaftlichen Beigaben als ausreichend erachten.
Eine eigene Texterstellung, die sich durch eine Differenz
gegenueber der Originalausgabe ausmachen liesse, findet bei
einem blossen Digitalisat nicht statt. Die Anwendung von §
70 auf Digitalisate (und Faksimile-Reprints) mit
wissenschaftlichem Kommentar ist daher abzulehnen.

Da aber wohl die meisten hinreichend eingeschuechtert sein
duerften davon, wie sich die UB Trier aufplustert, ist erst
einmal nicht mit einem Prozess zu rechnen, der dies klaeren
koennte.

Klaus Graf