AW: AW: [Wikide-l] Oh, mal wieder ein sehr netter Artikel

Ralph Teckentrup adornix at gmx.net
Sa Okt 30 20:47:18 UTC 2004


 

Elisabeth Bauer schrieb:

> Ralph Teckentrup wrote:
> 
> [Zu Baba66]
> > Kompromisse wollte er
> > schon gar nicht eingehen.
> > 
> > Dieser Fall muß nicht weiter diskutiert werden (inhaltlich hatte 
> > baba66 in jedem Punkt Recht)
> 
> Wie jetzt? Wenn ich Recht habe, muss ich trotzdem Kompromisse 
> eingehen? 
> Das kann's doch irgendwie nicht sein. Das wäre für mich eher 
> eine Kapitulationserklärung der Wikipedia, die damit 
> wissenschaftlichen Anspruch zugunsten "Wer kämpft am 
> längsten" aufgibt.

Vielleicht hätte ich zwischen "Recht haben" und "meiner Meinung entsprechen"
unterscheiden sollen... Es ging mitunter um Fragen etymologischer Natur, bei
denen eine alleingültige Wahrheit kaum zu ermitteln sein dürfte. 

Rein fachlich kann jemand tausendmal Recht haben, aber wenn er nicht willens
ist, selbst kleine sprachliche Kompromisse zu akzeptieren sondern einfach
immer nur auf seine eigenen Versionen revertet, wird's halt schwierig. Wenn
ich (als Laie auf dem Gebie der semitischen Sprachen und er
Islamwissenschaften, nicht aber der Sprachwissenschaften) nur sehe, daß da
zwei Sturrköppe miteinander umgehen, mir den Sachverhalt aber anderswo
selbst erklären muß, dann agieren beide falsch. Recht haben ist schön, aber
vermitteln können muß man das zumindest dann, wenn man nicht nur einen
islamistischen Deppen vor sich hat, sondern auch noch "Publikum", also die
anderen Leute, die sie sich über einen edit war wundern und sich um die
Qualität von Wikipedia-Artikeln kümmern. Man agiert nicht nur für das
(imaginierte) Gegenüber, auch nicht nur für "die Sache", sondern immer für
ALLE gegenwärtigen und zukünftigen Leser.

Kompromisse eingehen heisst nicht, falsches zu dulden, aber es heisst, sich
auf eine Debatte oder auf Erklärungen einzulassen und den eigenen Irrtum
zumindest als Möglichkeit einzugestehen. Baba66 trat autoritär von oben
herab auf und obwohl ich häufig auch auf seine Text-Versionen revertet habe,
war mir sein Auftreten zumindest unangenehm apodiktisch. 

Und letztendlich muß der "wissenschaftliche Anspruch" auch bedeuten, Wissen
für Nichtwissenschaftler verständlich darzustellen und das heisst bei
Wikipedia u.U. auch, für Laien verständlich eine Debatte um den Inhalt eines
Artikels führen. Die deutsche Wikipedia unterscheidet sich nach meiner evtl.
etwas oberflächlichen Beobachtung) von der englischen auch dadurch, daß
viele Autoren (und Autorinnen) eigenes Spezialistentum für eine Art
Passepartout halten, ihr Fachwissen als ganz einfach richtig durchsetzen zu
können. Bei der englischsprachigen Wikipedia bin ich immer wieder
insbesondere von den Diskussionsseiten begeistert, wo wirklich um Inhalte
und Kompromisse gerungen wird, was die Artikel oft um einiges lesbarer macht
als es die deutschen Texte (mitunter) sind. In deutschen Diskussionen zu
Artikeln habe ich (auch schon aus der Tastatur von Moderatoren) lesen
müssen, daß man die krankhafte Kompromisslerei und Austariererei der
englischen Wikipedia nicht nachmachen wolle. Ja was denn sonst? Deutsche
wollen oft Recht haben ohne Debatte. Ich halte das - wie auch das Meckern
über "Dilettanten" - für einen autoritätsfixierten Ruf nach der Obrigkeit
(die man gerne auch selber sein möchte :-)).

Damit rufe ich nicht nach basisdemokratischen Prinzipien oder ähnlichem
Quatsch, sondern wehre mich nur gegen den Ruf nach einem
institutionalisierten "Fachleute-Schutz".
 

 
> >, mir scheint aber gerade auf Seiten der "Fachleute" oft  ein Dünkel 
> >vorzuherrschen, der ihnen die Diskussion und Überzeugung von 
>  "Laien" 
> >zu verbieten scheint. Wer es nicht aushält, sich mit Laien und  
> >Dilettanten (ein Wort, daß ich nicht einmal negativ 
> verstehen möchte)  
> >rumzanken zu müssen und offensiv aber freundlich für seine Ansichten 
> >und  seine Kompetenz einzustehen, dem fehlt es womöglich etwas an 
> >sozialer  Kompetenz.
> 
> Wenn man sich mit Laien _zanken_ muss, mangelt es wohl nicht 
> nur den "Experten" an sozialer Kompetenz. Das Problem ist ja 
> nicht die Mehrzahl der Wikipedianer, die in einem fremden 
> Gebiet aus Unwissenheit was falsches schreibt, sich aber 
> gerne korrigieren lässt, sondern diejenigen, die etwas zu 
> wissen meinen und ihren Unsinn dann bis aufs Messer verteidigen.

Das klang mitunter anders. Mit Soziopathen muß die Welt leben, also auch
Wikipedia. Die Debatte über die "Unendliche Reihe" ist kein Beleg dafür, daß
es Sonderbefugnisse für Fachleute braucht, sondern nur ein Beleg dafür, daß
die Welt und die Menschen nicht perfekt sind. Einen Ruf nach
institutionalisierten Regeln zur Vermeidung solcher nervigen Debatten halte
ich für illiberal, auch wenn ich nicht in jedem Falle gegen den Ausschluß
von konkreten Nervensägen bin. Das ist aber eine Sachentscheidung am
Gegenstand (oder an der Person), die nicht über Verfahrensregeln zum Schutz
von Fachleuten geregelt werden kann.
 
> Mal etwas Lesestoff aus der Mathematik (eigentlich hätte ich 
> gedacht, dass zumindest das frei von solchen Schlachten ist):
> http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Null
> http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Unendliche_Reihe
> 
> > Gibt/gab es eine ähnliche Debatte auch bein englischen 
> Wikipedia? Hat 
> > wer einen Link?
> 
> Ungefähr alle halbe Jahr wiederholt sich die Diskussion, 
> genau wie hier. 
> Dann wird diskutiert, bis alle Beteiligten müde sind und dann 
> machen wir weiter wie bisher. Deshalb werde ich auch jetzt 
> nichts weiter dazu sagen.
> 
> Ein interessanter Text dazu:
>
http://meta.wikimedia.org/w/wiki.phtml?title=More_heat_than_light&oldid=1113
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Es scheint bei dem Text um Konfliktbewältigung und Regeln dafür zu gehen und
nicht um die Frage, wie man Fachleute vor Laien schützt :-) Dass das zum
Teil mühsam austarierte Prinzip der Wikipedia funktioniert, sieht man an der
weitgehend sehr hohen Qualität der englischen Wikipedia. Wenn die deutsche
Wikipedia da (noch?) nicht heranreicht, mag das an ihrem vergleichsweise
jugendlichen Alter liegen oder an den unübersehbaren Unterschieden zwischen
der angelsächsischen und der deutschen Debattenkultur. Eine Amerikanisierung
(oder allgemein Anglisierung) hat aber noch nie geschadet, immerhin
funktioniert inzwischen sogar in Deutschland die parlamentarische Demokratie
so halbwegs. Da wird das mit Wikipedia auch noch werden.

Gruß

Ralph