[Wikide-l] [Fwd: Antwort: wikipedia-artikel im aktuellen Spiegel 10/04]
Erik Moeller
erik_moeller at gmx.de
Di Mär 2 10:38:40 UTC 2004
Ulrich-
> Mich nervt ein wenig Deine Argumentation ad personam
Klar, Du bist es ja auch gewohnt, in Diskussionen zu dominieren. Diese
Haltung solltest Du Dir hier abgewöhnen. Solange Du mit der "Hört mal her,
ich erklär Euch jetzt mal" Masche kommst, wirst Du mit unfreundlichen
Reaktionen zu rechnen haben. Das ist Minimal-Sozialkompetenz.
Also: Wenn Du das nächste Mal was zu sagen hast, überleg mal, wie es bei
anderen Leuten ankommt, die mindestens genauso arrogant und selbstsicher
sind wie Du selbst.
> Mir ist lieber, es gibt einen halbwegs von allen Wikipedianern akzeptierten
> Verein, der solche Aktionen koordiniert und kanalisiert,
Dazu braucht man keinen Verein, eine Seite im Wiki tut's auch. Ich bin
nicht gegen den Verein, weil ich weiß, dass er so oder so kommen wird,
aber man sollte sinnvolle Aktionen nicht mit diesem Argument bremsen. Wir
haben 50.000 Artikel ohne Verein gebacken (jaja, ich weiß, davon sind
49.000 über Star Trek und der Rest über das lokale Umfeld von Buxtehude).
> Außerdem finde ich es ein ziemliches Unding, wenn jemand für
> "das Projekt Wikipedia" spricht, sich als Vertreter hinstellt, ohne dafür
> halbwegs einen Segen der ganzen Truppe zu haben,
Wie gesagt, auch das lässt sich über eine Wiki-Seite abwickeln. Vorher
Konsens herstellen, dann starten. Aber jeder kann schreiben, "Ich bin
Mitarbeiter von Wikipedia", und das ist auch völlig legitim.
> Sorry wenn ich Euch permanent in den Arsch trete,
Lass es einfach und bring Deine Kritik statt dessen ruhig und sachlich an.
> aber der Hang der Wikipedianer zur Selbstüberschätzung ist ziemlich
> groß.
Stimme ich Dir völlig zu. Mein Vortrag auf der WOS3 wird deshalb auch eine
kritische Betrachtung sein, während ich Jimbo dann die Widerlegung
überlasse.
> In der Regel (die Pressemitteilungen spiegeln das wieder) gilt noch
> immer Masse statt Klasse. Der 10.000 angemeldedete Benutzer auf de: ist eben
> *kein* Qualitätskriterium, im Gegenteil.
Weder ein Qualitätskriterium noch das Gegenteil. Es kommt drauf an, was
man draus macht.
> Die 50.000 Artikel, die wir haben,
> sind eben *kein* Qualitätskriterium, weil wir noch nichtmal wissen, wie
> viele davon Listen, Dörfer mit 100 Einwohnern oder sonstiger Kleinkram ist.
Kleinkram findest Du in jeder Enzyklopädie. Das ist völlig OK. Wir haben
detaillierte Größenstatistiken nach Zeichen und Wörtern (Wikistats), Bot-
importierte Artikel sind als solche markiert. Auf en: gibt es noch
ausführlichere Aufschlüsselungen, ob sich schon auf de: jemand die Mühe
gemacht hat, weiß ich nicht.
> Das laut zu sagen (und seit einem Jahr
> Prügel dafür zu beziehen und nicht einfach resigniert darüber
> hinwegzusehen), gehört zur Qualitätskontrolle.
Solange wir nicht konkrete Maßnahmen daraus entwickeln, ist es erstmal nur
Quengelei. Und diese Maßnahmen sind besser zu finden, wenn sich Menschen
nicht persönlich in ihrer Arbeit angegriffen fühlen, sondern sich eine
rationale, emotional distanzierte Diskussion entwickelt. Also: weg mit den
Superlativen. Man muss nicht jedes übertriebene Eigenlob mit übertriebener
Kritik kontern.
> Der professionelle
> Auftritt soll dem Bild der "Chaotentruppe" entgegensteuern, dass die Verlage
> aufbauen werden - wenn sie nicht sogar schon dabei sind.
Das können sie gerne tun, das schadet uns kaum, wenn die Artikelqualität
stimmt. Und hier kommt ein kritischer Punkt: Du glaubst, die Reputation
ist entscheidend, damit man sich auf einen Artikel verlassen kann. Wir
sind aber keine klassische Enzyklopädie und wir sollten auch nicht
vorgeben, eine solche zu sein. Um das Vertrauensverhältnis herzustellen,
brauchen wir Fußnoten und detaillierte Quellenangaben. Wir brauchen einen
formalisierten Prüfungsprozess, den jeder Artikel irgendwann durchlaufen
wird. Es ist *nicht* der richtige Weg, einen Mangel der Wikipedia -
niemand weiß, woher die Infos kommen - durch einen schöneren Anstrich
kaschieren zu wollen.
> Jimmy ist vor allem ein Unternehmer, der sehr genau weiß, wie er sich bei
> wem verkaufen muss. Dass er es gut kann, zeigt zum Beispiel die Tatsache,
> dass jeder ihn als selbstlosen Wikipedia-Heilsbringer sieht. Nur zu
> Erinnerung: Sowohl die Nupedia als auch die Wikipedia entstanden aus rein
> kommerziellen Überlegungen heraus - nicht aus Menschenliebe.
Es war zwar ein ".com"-Projekt, aber es war keine konkrete Überlegung zur
kommerziellen Verwertung da. Wenn Jimmy mit Wikipedia Geld hätte machen
wollen, hätte er sich nicht für die FDL entschieden, die ist dafür nun mal
ziemlich blödsinnig. H2G2 (BBC-Projekt) funktioniert ohne freie Lizenz,
90% der Nutzer interessiert es nicht. Also warum der Ärger mit der FDL?
> Wenn jemand für seine Ideen sterben will, soll er das gefälligts selber tun,
> nicht andere vorschicken.
Hier wird niemand "geschickt" und es stirbt auch keiner. Alle Wikipedianer
handeln aus freiem Willen und aus eigener Überzeugung. Und wenn das, was
sie tun, im Einklang mit unserer Mission steht, dann unterstützen wir sie
dabei auch, alle für einen. Weder ich noch Du sollten uns herausnehmen,
hier Vorschriften zu machen, und das tue ich auch nicht. Wir sollten den
Leuten aber auch nicht das Gefühl geben, dass wir jeden Unfug
unterstützen. Also größere Aktionen vorher absprechen.
> Erstens: Ein "Wikimedia - Verein zur Förderung freien Wissens e.V." kann das
> weitaus besser leisten. Das heißt nicht, dass das nicht jetzt auch passieren
> soll, aber die Erfolgsaussichten wären (Organisationen mögen Organisationen,
> nicht Einzelkämpfer) größer.
Klar, ein Verein macht zur Koordination und Formalisierung der
Außenkommunikation einen gewissen Sinn. Das sollte aber nicht als
Begründung herhalten, andere von sinnvollen Aktionen abzuhalten.
> Zweitens: Das sollte da gemacht werden, wo eine realistische Aussicht auf
> Erfolg besteht, auch etwas zu kriegen
Was realistisch ist, bewerten unterschiedliche Menschen unterschiedlich.
Einen Artikel, meinetwegen in kleiner Version, in einer Presseschau zu
archivieren, ist keineswegs ungewöhnlich. Im Gegenteil ist hier der
SPIEGEL mit seiner FIRSTGATE-Online-Verwertung eher die Ausnahme.
Aber wie schon gesagt: Knowledge-Basis aufbauen. Versuch macht klug. Und
bei allen öffentlich-rechtlichen Stellen sollte man es auf jeden Fall
versuchen.
> Drittens: Es macht keinen Sinn, das bei jeder denkbaren Stelle zu probieren.
> Zum xten Mal: Wenn wir so rüberkommen, als würden wir glauben, dass wir nur
> dann ein Linux schreiben können, wenn uns Microsoft Code spendiert, dann
> schadet das nicht nur der Fassade, sondern dem Ziel, freie Inhalte zu
> propagieren.
Nö, denn hier geht es nur um relativ beschränkte Einzelkommunikation. Und
wir haben hinreichend unter Beweis gestellt, dass wir eigene Inhalte
produzieren können, das sollten wir natürlich besser showcasen (mmm, noch
mehr Sprachpansche).
> "Die betteln alle an,
> machen illegal Fotos in Musen etc., also kriegen sie es alleine nicht hin,
> da brauchen wir nichts rauszurücken",
..
> "Die schaffen das ja trotz aller Schwierigkeiten, wenn wir jetzt
> nicht auf den Zug aufspringen, überrollt er uns".
Keine dieser hyptothetischen Anschauungen ist realistisch. Eher werden die
Leute denken: "Oh Gott, schon wieder ein Wikipedianer. Die versuchen ja
wirklich alles zu assimilieren." Und wir müssen dafür sorgen, dass die
Leute ein positives Gefühl bekommen, wenn sie uns Inhalte spenden, und ein
negatives, wenn sie es nicht tun. So wie die Heilsarmee. Das Wikisource-
Projekt verlässt sich übrigens ausschließlich auf Inhalte von außen.
> Ich empfehle Dir, Dir gelegentlich mal ne dreißig Jahre alte Tagesschau
> reinzuziehen, und auf Diktion und Habitus der Menschen zu achten. Du wirst
> feststellen, dass der Marsch durch die Institutionen so einiges verändert
> hat. Es muss nicht immer gleich die Weltrevolution sein, wenn man was
> verbessern will.
Wir wollen mal nicht zu sehr off-topic werden. Ich glaube nicht an
Weltrevolution oder Sozialismus, sondern an Demokratie, dezentrale Medien
und an Transparenz. Und davon ist die jetzige Regierung in vielerlei
Hinsicht weiter entfernt als die von Helmut Kohl.
Die Abschaffung des Urheberrechts für öffentlich-rechtlich finanzierte
Produktionen ist ohnehin ein kleines, geradezu triviales Ziel. Die
Schaffung von Rechtssicherheit bei Repros von gemeinfreien Werken kann mit
Musterprozessen erreicht werden. Die totale Abschaffung des Urheberrechts,
wie ich sie persönlich anstrebe, ist zugegebenermaßen ein größeres
Vorhaben, aber keineswegs einen Schritt entfernt vom Maoismus.
MfG
EMÖ