[Wikide-l] Umfassende Zuständigkeit deutscher Gerichte bezüglich Internetveröffentlichungen

Agon S. Buchholz asb at kefk.net
Do Jun 9 13:40:58 UTC 2005


Alexander Klimke wrote:

> M. Schuster hat das Problem angesprochen inwieweit deutsche Gerichte
> für Handlungen im Internet zuständig sind [...]
> Deutsche Gerichte sind zuständig, unabhängig
> davon, was für ein Staatsbürger die Handlung von wo auch immer aus
> vornimmt (gilt so für das Strafrecht und dort in genau dieser Form
> auch nur für bestimmte Deliktsformen, verschafft aber einen Eindruck
> davon, dass nach deutschem Recht mehr Zuständigkeiten bestehen, als
> man so zunächst vermuten würde).

Ich stecke gerade in einem Prozess (vorgeblich unwahre 
Tatsachenbehauptung im Web über den Fotohändler "Photo Dose", die zu 
einer Abmahnung, dann zum Mahn- und schließlich zum Streitverfahren 
führte), wo im kleinen Maßstab über die Zuständigkeit der Gerichte 
verhandelt wird.

Nach Auffassung der Klägerin aus Bremen ist der Gerichtsstand Bremen, da 
"der Beklagte die entsprechenden inkriminierenden Behauptungen im 
Internet getätigt" hat; da "das Internet auch in Bremen abzurufen ist, 
ist der Gerichsstand der unerlaubten Handlung hier in Bremen gegeben". 
Wir widersprechen dieser Auffassung natürlich (ich wohne in Berlin); 
unabhängig vom konkreten Sachverhalt und eventuell greifenden 
Dispensregelungen halte ich das zumindest für eine eklatante Verdrehung 
der Regelungen der §§ 5 MDStV und 4 TDG.

Würde sich die Klägerin mit dieser Auffassung durchsetzen und wäre eine 
Übertragung des Sachverhalts auf die Wikipedia juristisch vertretbar 
(was ich nicht beurteilen kann), könnte man gegen den Inhalt jeder 
beliebigen Seite der Wikipedia in jedem beliebigen Land der Welt 
zivilrechtliche Klage führen, in dem das Internet "abgerufen" werden 
kann. Der Sitz der Foundation in Florida als Betreiber wäre somit 
vollkommen obsolet, wenn ich die Konsequenzen richtig verstehe.

Wenn man die Analogie dann weiter verfolgt, wäre praktisch jede 
Tatsachenbehauptung, egal ob aus einer externen Quelle zitiert bzw. 
paraphrasiert oder originär von einem Wikipedianer verfasst, abmahn- und 
vor allem auch streifähig. Wenn das Schule machen sollte, könnte ein 
Projekt wie die Wikipedia allein durch eine Klageflut beschädigt werden, 
da bereits in meinem Fall ein Gegenstandswert von 250.000 Euro 
deklariert wurde. So lange es bei zivilrechtlichen Einzelfällen bleibt, 
ist das wohl noch handhabbar, in größerem Maßstab wäre eine 
Prozesslawine über streitgegenständliche Tatsachenbehauptungen (von 
denen die Wikipedia wohl zumindest einige Millionen bereithält) weder 
personell noch finanziell überstehbar.

Nur gut, dass Einzeller und Moose gegen die möglicherweise 
tatsachenwidrige Darstellung ihres Ökosystems mit hoher 
Wahrscheinlichkeit nicht klagen werden ;)

MfG -asb