[Wikide-l] Re: Die einzige Quelle?!

Ulrich Fuchs mail at ulrich-fuchs.de
Mi Dez 8 07:19:43 UTC 2004


> Ich hatte da ja mal vor einiger Zeit ein paar äußerst konkrete
> (algorithmenbasierte) Vorschläge gemacht, wie man sie Selbstheilungskräfte

> Du analysierst ja die Probleme und Problemanalyse muss doch
> notwendigerweise auch mal in Lösungsvorschlägen und nicht endlosem Lameto
> münden. Momentan kritisierst du doch einfach nur die meisten als
> nichtqualifizierte Zaungäste, die nur Ärger machen. Oder willst du damit
> indirekt sagen, wir brauchen einen geschlossenen Autorenkreis, dessen
> Mitgliedschaft man erst als Anwärter sich erarbeiten muss? 

> Was sind deine konkreten Ziele? Ich fände es sehr sinnvoll, wenn man
> Algorithmen/Ideen, die die Selbtsheilungskräfte der Wikipedia stärken mal
> einfach hier konkret diskutiert, so wie es ja schon mit den Versionen (die
> ja auch in die Richtung gehen) eine schöne Diskussion gab.

Wikis sind soziotechnische Systeme. Das Problem, das die Wikipedia hat, ist 
ein Problem in der Teilnehmerstruktur. Dem kannst Du aber nicht Herr werden, 
wenn Du es mit Technik bekämpft. Diese ganzen Debatten über Bewertungen, 
stabile Versionen, Recent changes patrol etc. gehen vollkommen am 
eigentlichen Thema vorbei. Sie versuchen, oberflächlich an ein paar Sypmtomen 
herumzukurieren. Die Recent changes sind bspw. unbrauchbar, weil es zu viele 
überflüssige Änderungen bei zu vielen überflüssigen Artikeln gibt, nicht weil 
es zu viele Änderungen gibt. Die Bytes, die eine Änderung im Schnitt umfasst, 
sind von über 200 Mitte 2003 auf etwa 130 Ende Oktober gefallen. Es gibt 
größtenteils nur ein Herumgedoktere an Texten, keinen substanziellen Ausbau.

Von 100 Änderungen auf Recentchanges fügt vielleicht eine mal eine ganzen Satz 
zu einem Artikel hinzu.  Refactoring passiert so gut wie überhaupt nicht 
mehr. Probate Methoden, die das Refactoring unterstützen, werden über Bord 
geworfen. Usw. usw. Das sind alles Syptome für das eigentliche Problem, dass 
sich die Community mit den vorhandenen Inhalten nur noch an der Oberfläche 
beschäftigt sowie die Wikipedia in die Breite, aber eben nicht in die Tiefe 
wachsen läßt. Würde das Wikiprinzip so funktionieren, wie es angedacht war, 
bräuchten wir weder das (lobenswerte) pushen der sogenannten exzellenten 
Artikel noch das Review - das, was dort passiert, sollte der *Normalfall* 
sein, es sollte automatisch passieren, ohne dass sich eine Art Team darum 
kümmert. Das geht aber nur, wenn die Teilnehmer in der Lage sind zu *merken*, 
wo was zu tun ist, ohne dass man das ständig vorbuchstabieren muss.

In einem Wiki bilden die Teilnehmer die Umgebung, in der sich die Artikel 
evolutionär entwickeln, so dass sie für die Teilnehmer am besten angepasst 
sind. Es ist zu vermuten, dass eine bestimmte Form der Artikel bestimmte 
Teilnehmer anzieht, so dass sich das ganze verstärkt und auf einer bestimmten 
Form stabilisiert. Das hat die Wikipedia getan, und sie besteht heute aus 
einer mittelmäßigen Community, die mittelmäßige Artikel in mittelmäßigen Stil 
mit mittelmäßiger Verlässlichkeit verfasst. 

Nein, wir brauchen keinen geschlossenen Autorenkreis. Was wir vor einem 
dreiviertel Jahr gebraucht hätten, wäre ein konsequentes und diskussionsloses 
Herauslöschen von stapelweise angelegten Ortsstubs, Computerspieleportalen, 
Navigationsleisten, vom Stil völlig unpassenden Artikelstarts (ich erinnere 
nur an die Kräuterhexe) und ähnlichem Firlefanz, verbunden mit einer 
konsequenten Sperrung von ein paar Trolls. Dann hätten die, die jetzt die 
Wikipedia vermüllen, nämlich schnell die Lust verloren, und die die in der 
Folge gesehen haben: "Oh Toll, hier kann ich was über mein Kaff schreiben" 
hätten das nicht gesehen und wären gar kein Teilnehmer geworden, der nun 
seinerseits Artikel zum Unterschied zwischen Blauwollfetischismus und 
Baumwollfetischismus anlegen. Dazu braucht es weder Zugangskontrollen noch 
Abiturnachweise - lediglich den Willen, Enzyklopädie zu machen und das allen, 
die mitmachen wollen, klar zu machen. Da braucht es ein deutliches "Was 
Wikipedia nicht ist", das auch von keiner Löschdiskussion "überstimmt" werden 
kann.

Man hat die Leute aber gehätschelt und gestreichelt, sie lieber ihr 
Privatprojektchen machen lassen und ihren Unsinn abladen lassen, statt ihnen 
zu verdeutlichen, dass es um eine gemeinsame Anstrengung geht, man hat den 
Trollen lieber guten Willen attestiert statt sie rauszuwerfen. Man hat den 
Leuten nicht etwa die Sehnsucht nach dem Mehr gelehrt, sondern ihnen gesagt: 
Wer mag, schaffe Holz heran oder verteile Aufgaben. Kein Wunder, dass da kein 
hochseetaugliches Schiff rauskommt, sondern bestenfalls ein seltsam 
anzusehendes Floß, das gerade dazu taugen wird, um über einem 
mittelprächtigen Weiher zu dümpeln. Man hat sich einen Teilnehmerstamm 
"herangezüchtet", der nie und nimmer eine Umgebung darstellt, in der sich 
Artikel gewissermaßen von selbst zu einer fachlich qualifizierten, 
hochwertigen Wissenquelle entwickeln und da auch bleiben. Nun muss man eben 
mit den Konsequenzen leben. Etwa so schönen Artikeln wie [[Qrio]], [[Ole 
Haldrup]] und [[Greyface]], die natürlich längst niemandem mehr auffallen, 
außer vielleicht dem einen oder anderen Akademiker, der mal bisschen stöbert 
um zu kucken, ob er mitmachen soll. 

Uli