[Wikide-l] Wikipedia und deutsches Recht

Agon S. Buchholz asb at kefk.net
Sa Dez 4 02:50:21 UTC 2004


Ivo Köthnig wrote:

[ zumutbare Prüfpflichten und Störerhaftung ]

> Woraus ergibt sich diese Prüfpflicht? Weil ich etwas im Internet 
> gelesen habe, was ich -- wie jeder andere Mensch auf dieser Erde mit 
> Internetanschluss -- auch selbst ändern kann?

Keine Ahnung, woher das kommt; alle Gerichtsurteile von Landgerichten
bis hin zum BGH sind bisher von der Existenz solcher Prüfpflichten
ausgegangen, daher nehme ich das einfach als gegeben; unterschiedlich
wird nur der *Umfang* der Prüfpflichten je nach Einzelfall beurteilt;
wenn die Inhalte der Verweisziele offensichtlich unzulässig sind,
bejahen alle Gerichte eine Verpflichtung zum Verhindern der Linksetzung;
Ausnahmen gibt es beispielsweise für Pressunternehmen (BGH-Urteil
"Schöner wetten").

Die Kanzlei Waldorf argumentiert in meinem Fall damit, dass es sich
"einem sachkundigen Internetnutzer wie Ihnen [...] geradezu hätte
aufdrängen müssen", sie gehen also bereits bei einem Internetnutzer
(ganz zu schweigen von einem Informatiker oder Sysadmin) davon aus, dass
er bstimmte juristisch relevante Sachverhalte zur Kenntnis nehmen und
korrekt einordnen können muss. Was davon vor Gericht bestand haben würde
bzw. wird hängt halt vom Richter bzw. Deinen Möglichkeiten ab, in
Berufungsinstanzen zu gehen.

> Ich habe den Link doch aber garnicht gesetzt, sondern höchstens 
> gelesen, ohne ihm zu folgen. Ich kann also garnicht wissen, dass dort
> etwas Rechtswidriges steht oder stand geschweige denn stehen wird.

Das interessiert vor Gericht nicht; Durch Zulassen des Hyperlinks machst
Du dir die Inhalte des Verweiszieles zu Eigen. Das OLG München hat
explizit eine zeitlich unbegrenzte Prüfpflicht festgestellt, die ganz
ausdrücklich davon ausgeht, dass sich die Inhalte von Verweiszielen
ändern. In welchem Umfang sich andere Gerichte dem OLG München
anschließen, wird man in den nächsten Prozessen sehen; das bisher nicht
rechtskräftige Urteil (da Berufung) gegen Alvar Freude hat den Grad der
Linkhaftung allerdings nochmals verschärft (bereits Nennung von
inkriminierten Inhalten strafbar). Natürlich hofft Alvar, dass dieser
Unsinn in einer Berufungsinstanz gekippt wird.

> Die Pflicht dem Link zu folgen würde mich letztlich verpflichten die 
> gesammte Wikipedia in allen Sprachen und allen Seiten zu lesen, die 
> von hieraus verlinkt wurden. Das trifft dann auch für alle Wikis zu, 
> die von hier verlinkt wurden, da kann ich ja auch Änderungen 
> vornehmen... Im Endeffekt würde ich wohl die nächsten Jahre damit 
> zubringen. Bis dahin gibt es dann sicher genug neue Artikel, die zu 
> prüfen sind.

Genau das ist auch mein Problem.

> Hab ich das oben glaubhaft genug gemacht, ohne dass es sich um eine 
> automatisch generierte Linkliste handelt?

Im Sinne der Argumentation der Kanzlei Waldorf oder des OLG München ganz
sicher nicht. Wie willst Du glaubhaft machen, dass Du nur Fragmente des
Artikels gelesen haben willst, aber ihn dennoch editiert hast?
Vielleicht würde ein Gericht in einer Berufungsinstanz die Haftung für
"minor edits" einschränken, wenn der Fall im Detail sehr sorgfältig
geprüft werden würde. Generell würde ich aber davon ausgehen, dass sich
alle Autoren eines Artikels die Inhalte ihrer Vor-Bearbeiter ebenso zu
Eigen machen wie die Inhalte der verlinkten externen Websites.

> Vielleicht ist mir nur zufällig ein Typo aufgefallen, den ich 
> korrigiert habe. Vielleicht hat den Typo nur mein Bot gefunden und 
> ich habe mich außer um den Abschnitt um nichts weiter gekümmert. 
> Logisch, hier hängt das jetzt von der Änderung ab, die gemacht wurde.

Das ist eine technische bzw. formale Argumentation, die den Juristen
meist eher nicht beeindruckt; ich argumentiere auch damit, dass ich
durchaus ein Skript mit einer Datenbankabfrage anlegen kann, ohne die
Ausgaben des Skripts permanent zu prüfen. Der Jurist argumentiert dann
wieder, dass Du durch das Anlegen des Skripts Kenntnis von der
inkriminierten Sache hattest und eben verpflichtet bist, zu prüfen,
andernfalls trifft Dich bei Verletzung der Prüfpflichten eine Störerhaftung.

Das LG München hat im "Playboy-Fotos"-Urteil vor ein paar Wochen den
Umfang der zumutbaren Prüfpflichten in einem speziellen Fall reduziert,
in dem es um eine automatisch arbeitende Linkliste ging, in die Benutzer
ohne redaktionelle Kontrolle Links eintragen konnten; da dort hunderte
von Links eingetragen würden, sei es dem Betreiber nicht zuzumuten,
jeden Link manuell zu prüfen.

All das träfe aber m.E. auf einen Wikipedia-Artikel nicht zu, der zum
einen per Definition der Weblinks höchstens fünf bis zehn externe
Hyperlinks enthalten soll. Eine Prüfung wäre also in jedem Falle
zumutbar; zum anderen könnte man mit automatisch generierten Listen bei
Wikipedia-Artikeln wohl auch kaum argumentieren, da Wikipedia-Artikel ja
eben komplett aus Klartext bestehen und alle Arbeiten von Menschen
durchgeführt werden; geschützt durch die Regelungen des TDG sind eben
nur Suchmaschienen und ggf. vielleicht auch Bots.

IMHO ist das einzige, was derzeit Wikipedia-Autoren von Strafanzeigen
oder Abmahnungen schützt, das Fehlen eines Klägers und die gewisse
Anonymität der Benutzerkürzel. Noch eine ganz andere Sache wäre dann
auch noch, wie weit dieser Unsinn vor einem Gericht oder ggf. einer
Berufungsinstanz Bestand hätte.

MfG -asb