Hallo,
nachdem einige WMF-Vorstandsmitglieder sich ausführlicher geäußert
haben, möchte ich gerne einige Anmerkungen machen. Dabei sei
vorausgeschickt, dass ich mit mehreren WMF-Vorstandsmitgliedern in
Kontakt bin und dass wir in deutlich mehr Punkten in unseren Ansichten
übereinstimmen, als dass wir Meinungsverschiedenheiten hätten.
Es ist richtig, dass die WCA langsamer vorangeschritten ist als
ursprünglich geplant. Das hat mit mehreren Gründen zu tun,
beispielsweise, dass manche Ratsmitglieder weniger aktiv sind als es
wünschenswert wäre. (Der deutsche Verein hat übrigens ein
hervorragendes Ratsmitglied bestellt.) Außerdem waren die
demokratischen Entscheidungsprozesse zeitlich sehr großzügig bemessen,
etwa mit zwei Wochen Zeit, seine Stimme abzugeben.
Dann gab es aber auch zwei unterschiedliche Wege, wie der Aufbau der
WCA-Organisation stattfinden solle. Eine eher pragmatische Richtung
wollte die Strukturen der nationalen Vereine nutzen und die
WCA-Organisation schnell handlungsfähig machen und die selbstgesetzten
Ziele - vor allem die Unterstützung kleiner Vereine - anpacken. Eine
eher konventionelle oder bürokratische Richtung wollte stattdessen
erst den rechtlichen Rahmen verbessern und sah beispielsweise die
Auswahl eines Rechtsorts und die juridische Registration dort als
prioritär an.
Ich selbst gehörte zur ersten Richtung, habe dann aber die
Entscheidung der großen Ratsmehrheit mitgetragen. Der Plan war:
Auswahl des Rechtsorts (nicht eines physischen Sitzes, das wurde
jüngst manchmal verwechselt), Registrierung mit nötiger Modifikation
der Satzung, Anstellung eines Hauptamtlichen. Und dieser Hauptamtliche
hätte uns Ratsmitgliedern (alles Ehrenamtliche) geholfen mit den
weiteren Schritten. Das ist an sich kein Geheimnis gewesen. Anfang
Februar waren wir damit fast fertig, ein Stellenangebot war
ausgeschrieben, es fehlten noch einige letzte Punkte bezüglich der
Satzung.
Dürfen Wikimedia-Vereine überhaupt einen Dachverband gründen? Ich war
im März 2012 von WMF-Seite darauf verwiesen worden, dass die Vereine
die Wikimedia-Marke ja schon immer in abgeleiteten Aktivitäten
verwenden konnten. Ich nehme mal ein fiktives Beispiel: Wenn WMDE und
WMFR ein gemeinsames Treffen organisieren, dann dürfen sie das
natürlich "Wikimedia-Konferenz der deutsch-französischen
Nachbarschaft" nennen.
Seitdem hatte die WMF auch nicht etwas anderes zu dieser Frage gesagt,
bis urplötzlich im Dezember ein WMF-Mitarbeiter darauf hinwies, dass
es einen Prozess gäbe, mit dem 'affiliates' (Anschlussverbände wie die
nationalen Vereine) das Recht erhalten, die Marke Wikimedia zu führen.
Ich sah das im Zusammenhang mit den neuen 'affiliates', wie den
Thematic Organizations, die es nun geben soll, und dass die WMF da nun
mehr auf Formelles achtet. Die Kommunikation mit dem WMF-Mitarbeiter
hat uns aber verunsichert, ob wir den Namen in der Satzung ändern
müssen, und die Diskussionen haben das dann auch erst einmal
verzögert.
Es gab in der Tat keine Standardformel für das Verhältnis von WMF und
WCA. Wenn die WMF gesagt hätte, dass aus formellen Gründen die WCA
denselben Prozess wie andere Vereine durchlaufen soll, hätte ich das
überaus akzeptabel gefunden. Also: WCA geht zum Affiliations Committee
(AffCom), das AffCom korrespondiert mit der WCA, ob bestimmte
Anforderungen erfüllt sind, ob nicht etwa der neue Verein dem Ansehen
der Bewegung schaden könnte und und und, und nachdem man alles
abschließend besprochen hat, gibt das AffCom dem WMF-Vorstand eine
Empfehlung, wie er entscheiden soll.
Zu dieser Prozedur ist es aber nicht gekommen, weil der WMF-Vorstand
die Frage direkt angehen wollte. Nun gut. Dann wäre es meiner Meinung
nach aber angemessener gewesen, noch einmal auf die WCA zuzugehen,
anstatt sofort eine wenig freundliche Mitteilung auf die
Diskussionseite zu setzen. Ich gehe davon aus, dass man das
normalerweise mit neuen Vereinen nicht so macht, und dass der
Beweggrund dafür in Spannungen innerhalb des WMF-Vorstandes zu suchen
ist. Das ist jetzt aber so gemacht worden, es lässt sich nicht mehr
ändern, und es ist ja auch nicht der Weltuntergang.
Dabei ist noch anzumerken, dass die Ausschreibung der
Hauptamtlichenstelle sowieso erst Mitte Februar endet, und dass für
das Wochenende vom 16./17. Februar bereits eine WCA-Konferenz in
London angesetzt war. Dort (und sowieso vorher) hätte man so manches
miteinander besprechen können. Was ich bei dieser ganzen Angelegenheit
noch am erfreulichsten finde, ist, dass dieses Treffen dennoch
stattfindet und dass auch weiterhin WMF-Vertreter kommen wollen. Am
guten Willen wird es nicht mangeln, denke ich.
Ich möchte unbedingt noch etwas zu Fae (Ashley van Haeften) sagen. Fae
ist das Ratsmitglied, das vom britischen Verein ernannt wurde. Im Juli
auf der ersten WCA-Ratssitzung wurde er zum Ratsvorsitzenden gewählt
(ich zum Stellvertreter). Leider kam es nicht zu einer Wahl eines
eigentlichen Ausführungsorgans, so dass viel Aufbauarbeit am
Vorsitzenden hängenblieb. Ich habe meine Rolle in seiner Unterstützung
gesehen (genaueres schreibt die Satzung nicht vor).
Kurz nach der Wahl erfuhr ich, wohl ebenso wie die anderen
Ratsmitglieder, dass Fae soeben vom Schiedsgericht der
Englischsprachigen Wikipedia gesperrt wurde. Das ist natürlich mehr
als unerfreulich. Ich habe damals mit britischen Wikimedianern
gesprochen, die aber seine Ratsmitgliedschaft aufrechterhalten
wollten, und auch die anderen Ratsmitglieder haben nicht etwa eine
Abwahl vorgeschlagen.
Ich persönlich habe Fae als freundlich und eher nicht-konfrontativ
erlebt, und ich habe auch nicht etwa den Eindruck gehabt, dass er sich
gegenüber anderen Ratsmitgliedern anders verhalten hätte. (Was nicht
heißt, dass ich ihn gründlich kennen würde, ich habe ihn das erste Mal
kurz Ende 2011 in Amsterdam gesprochen.) Was die Entscheidung des
Schiedsgerichts der Englischsprachigen Wikipedia angeht: Anscheinend
ist sie nur aus einem größeren Kontext heraus zu verstehen, den ich
mit einigen Stichproben von Faes inkriminierten Edits nicht ergründen
konnte. Dazu hätte ich wohl mehrere Stunden Zeit oder mehr investieren
müssen. Die Auswirkungen auf das 'Ansehen der WCA' waren aus meiner
Erfahrung gering: Ich bin nach Juli 2012 darauf nur ein einziges Mal
angesprochen worden.
Generell ist es meine Meinung, dass das Schiedsgericht der
Englischsprachigen Wikipedia für eben jene Sprachversion eines
Wikimedia-Projektes Entscheidungen trifft, dass dies aber nicht
bindend für alle anderen Sprachversionen, alle anderen
Wikimedia-Projekte, oder alle Wikimedia-Organisationen sein kann. Das
Schiedsgericht der Englischsprachigen Wikipedia, die Administratoren
der dänischsprachigen Wikisource oder die Community der bosnischen
Wikiquote bestimmen nicht, wer Admin in der deutschsprachigen
Wikipedia sein darf, wer Vorsitzender von Wikimedia Italia wird usw.
Es gibt da ein WMF-Vorstandsmitglied, das sich auf Fae eingeschossen
hat. Aber ich kann nicht glauben, dass es ernsthaft eine allgemeine
Regel einführen will, derzufolge jemand in der spanischen Wikinews
gesperrt wird und dann kein Kassenprüfer von WMXY (oder
Vorstandsmitglied der WMF) sein darf. Natürlich weiß ich, dass die
Englischsprachige Wikipedia besonders wichtig ist, aber ihr
Schiedsgericht ist nun einmal nicht das Schiedsgericht der gesamten
Wikimedia-Bewegung. Vielleicht sieht jemand, der nur Englisch liest
und auch selbst kein eigentlicher Wikipedia-Autor ist, das anders.
Soweit. Es ist ein langer Text geworden, ich bitte um Nachsicht.
Besten Gruß
Ziko