[Wikide-l] BV Phono fordert Verlängerung der Schutzfristen für Musikaufnahmen

Agon S. Buchholz asb at kefk.net
Mi Mär 9 14:19:50 UTC 2005


Der BV Phono meldete heute in einer Pressemeldung (wieder einmal), eine 
Verlängerung der Schutzfristen für Musikaufnahmen sei erforderlich.

Damit keine Mißverständnisse entstehen: Hier geht es nicht um den Ablauf 
von Urheberrechten, sondern wohl ausschließlich um 
*Leistungsschutzrechte*, also beispielsweise solche Leistungen, die nach 
Par. 2 UrhG keine persönlichen geistigen Schöpfungen sind und nicht die 
notwendige Schöpfungshöhe eines Werkes erreichen. Leistungsschutz und 
Urheberschutz verfolgen zumindest teilweise unterschiedliche 
Zielsetzungen. Typische Vetreter, denen Leistungsschutzrechte zustehen 
können, sind beispielsweise "Tonträgerhersteller, Sendeanstalten, 
Lichtbildner und Filmhersteller" (Homann 2001: 123).

Der BV Phono drückt aber auf die Tränendrüse ("die armen Künstler"), was 
aber ziemlicher Unsinn sein dürfte; Leistungsschutzrechte, die bei uns 
nach 50 Jahren ablaufen, betreffen nur Kinder-Künstler, die den Rest 
ihres Lebens nichts mehr getan haben. Außerdem mogelt die 
Pressemitteilung jetzt plötzlich den Begriff "Urheberrechte" in die 
Mitteilung (und die laufen, wie wir alle wissen, erst 70 Jahre nach dem 
Tod des Urhebers ab):

"Bereits heute müssen viele Künstler zusehen, wie ihre frühen 
Musikaufnahmen den Urheberrechtsschutz verlieren. Sie sollten aber das 
ganze Leben gerechte Vergütungen aus ihren Musikeinnahmen beziehen 
können", erklärt Gerd Gebhardt, Vorsitzender der deutschen 
Phonoverbände. "Es ist unverständlich, dass diese Musikaufnahmen in 
Europa weniger geschützt werden als in vielen anderen Ländern der Welt. 
Auch die Musikunternehmen brauchen deswegen eine Verlängerung der 
Schutzfristen für Musikaufnahmen von 50 auf 95 Jahre."

Kurzfassung: Die Plattenfirmen möchten ihre Leistungsschutzrechte 
faktisch verdoppeln. Wie gesagt, dies alles hat nicht mit den 
Urheberrechten zu tun, die unabhängig davon existieren.

"Während innerhalb der EU eine Schutzdauer von 50 Jahren für die
Leistungsschutzrechte an Musikaufnahmen gilt, weist das Urheberrecht in
zahlreichen anderen Staaten bereits eine deutlich längere Schutzfrist 
auf. So gewähren u.a. die USA (95/120 Jahre), Mexiko (75 Jahre), 
Australien, Chile, Brasilien, Peru, die Türkei (je 70 Jahre) und Indien 
(60 Jahre) bereits einen deutlich längeren Schutz. Weltweit ist die 
Notwendigkeit erkannt worden, die Schutzfristen zu verlängern. [...]"

Beispiel: Die 498 Aufnahmen von [[Enrico Caruso]] (gest. 1921) sind 
durch Leistungschutzrechte geschützt, Caruso hat aber keine 
Urheberrechte an den Aufnahmen, da er nur Interpret ist (ausübende 
Künstler erhalten daher auch Vergütungen über die GVL und nicht über die 
GEMA wie die Urheber). Die Leistungsschutzrechte für Carusos fiktive 
letzte Aufnahme liefen 1921+50 (also 1971) ab; bei einer Verlängerung 
der Leistungsschutzrechte auf 95 Jahre würden die Leistungsschutzrechte 
an den Aufnahmen ausgeweitet werden auf das Jahr 2016. Die Plattenfirma 
würde in diesem fiktiven Beispiel also nicht nur 50 Jahre nach Tod des 
Interpreten profitieren, sondern 95 Jahre. Neben den Plattenfirmen 
profitieren von diesen Leistungsschutzrechten allenfalls noch Carusos 
drei Kinder, Rodolfo und Enrico sowie die Millionärstochter Gloria von 
dieser Ausweitung der Leistungsschutzrechte.

Eine Ausweitung der Leistungsschutzrechte würde zahlreiche 
Wikimedia-Projekte tangieren, so beispielsweise unmittelbar die Commons, 
Wikisource und Wikiquote. Betreffen würde dies vermutlich auch 
Nachdrucke und Digitalisate von gemeinfreien Werken.

MfG -asb