[Wikide-l] Interview Rheinischer Merkur
Agon S. Buchholz
asb at kefk.local
So Jan 16 14:59:46 UTC 2005
Henriette Fiebig wrote:
>> Irgendwie klingt das alles mehr nach Religion als nach zeitgemäßer,
>> überprüfbarer, kritisierbarer, reproduzierbarer und nicht zuletzt
>> falsifizierbarer Wissenschaft.
> Alles unbenommen... bis auf das Wort "Wissenschaft". Daran mangelt es
> mir persönlich sehr in der WP.
> Und seien es nur (nur!!!) die fehlenden Literaturangaben und die
> fehlenden Zitatnachweise [...]
Da stimme ich Dir zu; mir hat auch immer eine Funktion gefehlt, um
Bereiche eines Wikipedia-Artikels als Zitat zu kennzeichnen oder
automatisch formatierte Quellenangaben einzufügen. Das sind allerdings
vor allem formale Merkmale eines wissenschaftlichen Anspruchs; ich bin
mir aber gar nicht sicher, ob es unter den Wikipedianern einen Konsens
gibt, dass wir eine formal wissenschaftliche Wissensdatenbank erstellen
wollen.
Interessanter fand ich beim Nachdenken über Herrn Kreissigs Aussagen,
dass wir "unter der Haube" bereits viel eher wissenschaftstheoretischen
Anforderungen (beispielsweise à la Karl Popper) genügen als die
Blocklaus-Produkte. Es macht zwar sehr viel Mühe, aber die Auswertung
der Versionsgeschichte und der Diskussionsseite eines Artikels macht den
Entstehungsprozess der Ausgestaltung eines Artikels vergleichsweise
transparent. In der Wikipedia besteht -- im Gegensatz zu B. -- zumindest
die Möglichlichkeit herauszufinden, wie es zur Mikrostruktur eines
Artikels kam.
Aussagen über die Makrostruktur eines größeren Themengebietes zu machen
ist etwas schwieriger, allerdings dank WikiProjekten, Portalen,
Qualitätsinitiativen und Wortlisten sowie Löschkandidaten jedoch
ebenfalls nicht unmöglich (natürlich gibt es bei den drei großen "K"
[Konsistenz, Kohärenz und Kohäsion] noch enorme Herausforderungen für
die Wikipedia). Zumindest ansatzweise kann man in der Wikipedia
beispielsweise Aussagen über Filter- und Auswahlprozesse in der
Lemmatisierung machen.
All diese Prozesse sind im B. absolut intransparent und laufen
vollständig im Verborgenen ab. Auch ohne formale wissenschaftliche
Merkmale sind wir damit viel dichter an wissenschaftlicher Arbeit dran,
als es manchem vielleicht bewusst ist ;)
Gruss, -asb