[Wikide-l] Interview Rheinischer Merkur

Bernd Kreissig kreissig at bifab.de
Do Jan 13 19:56:37 UTC 2005


Hallo,

hier nun der eben im thread "Qualitätsmerkmale des MSM" angekündigte Text. -
Ich möchte nur eine der Antworten noch vorab kommentieren, um
Missverständnisse bzw. unnütze Diskussionen a priori zu vermeiden. Die
letzte Antwort in Sachen "Rechtelage" könnte man als MS-artiges FUD-Gebahren
in Richtung Linux deuten. Ich möchte dazu klar sagen: Es geht überhaupt
nicht darum, dass wir Directmedia oder Anwender der Directmedia-CD in irgend
einer Weise ans Zeug flicken wollen, sondern nur darum, dass wir für uns
entschieden haben, dieses Risiko nicht eingehen zu wollen.

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> ich schreibe gerade über wikipedia und bin vor allem von der Dynamik
> des Projektes beeindruckt. Können Sie mir sagen:
> 
> - wie viele bezahlte Leute für die Brockhaus-Redaktion arbeiten?

Das ist eine fünfstellige Anzahl von Personen. Wissenschaftler, Autoren,
Fachexpertenund andere mehr. Die genaue Zahl ist nicht so leicht
ermittelbar, u.a. deshalb, weil zum Teil ein Name für mehrere Personen
steht. Denken Sie z.B. an einen Universitätsprofessor, der einen
Enyzklopädieartikel über sein Fachgebiet schreibt, und dabei auch Arbeiten
seiner Assistenten und Hilfswissenschaftler verwertet. - Übrigens hat auch
Brockhaus darüber hinaus eine riesige Anzahl von Freiwilligen, die die
Qualität sichern und verbessern helfen. Sie glauben gar nicht, wieviele
Zuschriften mit Hinweisen oder Vorschlägen wir von unseren Benutzern
kriegen. Nur dass die eben nicht direkt in die Artikel wandern, sondern
vorher von einer erfahrenen Redaktion geprüft werden.

> - ob sich Wikipedia jetzt schon in irgendeiner Form bei Ihnen
> bemerkbar macht?

Im Moment in allererster Linie dadurch, dass es viele Anfragen von
Journalisten dazu gibt. Insgesamt trägt das Wikipediaprojekt dazu bei, das
Thema "Lexikon" und "Allgemeinwissen von A-Z" einmal mehr zur allgemeinen
Aufmerksamkeit zu bringen, und das ist gut so. Und natürlich beobachten wir
die Entwicklung genau, u.a. weil sie eine gute Gelegenheit bietet,
Gewohnheiten und Erwartungen von Menschen bei der Suche nach und Rezeption
von Sachwissen zu beobachten.

> - trauen Sie Wikipedia zu, verlässliche Inhalte zu schaffen?

Auf jeden Fall, denn Wikipedia ist diesbezüglich nicht anders als das
Internet insgesamt: Man kann darin ganz hervorragende Dinge finden. Man kann
aber - ebenfalls wie im Internet - genauso gut haarsträubenden Unsinn
finden. Je nachdem an welcher Stelle die so genannten "Edit-Wars" gerade
toben, wechseln in ein und demselben Artikel Extrem-Meinungen im
Minutenrhythmus; was man zu sehen bekommt, hängt dann von der Uhrzeit des
Aufrufs ab. Zwar kann man sich dann die Gestehungshistorie des Artikels
anschauen, aber das ist dann schon vergleichsweise mühsam. Vor allem aber
gilt: Um zu beurteilen, welche der Aussagen nun stimmen und welche nicht,
braucht man eigentlich Fachkenntnisse - und das in eben dem Gebiet, welches
man gerade nachschlägt, d.h. in welchem man sich offenbar gerade erst kundig
machen möchte. Und schließlich kann die Wikipedia nicht formal und
inhaltlich ausgewogen sein - welche Themen wie und in welchem Umfang und
Form behandelt sind, hängt von der Verfügbarkeit von Freiwilligen ab.

> - Wie sie sich in Zukunft auf die Konkurrenz des kostenlosen
> Internetangebotes und die Spottbilligen CDs und DVDs einstellen
> wollen.

Spottbillige CDs und DVDs gibt's auf den Grabbeltischen schon seit vielen
Jahren. Da haben wir uns durchaus sehr gut drauf eingestellt. Durch
konsequenten Ausbau der Qualität unserer Produkte drängen wir den
Marktanteil dieser Billigscheiben seit Jahren immer weiter zurück. - Das
kostenlose Internetangebot der Wikipedia möchte ich eigentlich nicht als
Konkurrenz zum Brockhaus verstehen, und diese Sicht äußern auch prominente
Wikipedia-Aktivisten auf der Mailingliste der Wikipedia selbst. Viele
Beobachter warten z.B. gespannt auf den Moment, in welchem das
Wikipediaprojekt genauso viele Artikel wie der Brockhaus aufweist. Ich
selber warte eher auf den Tag, an dem sie zehnmal mehr Datenbankeinträge
hat: Dann wird besser sichtbar sein, dass diese Erbsenzählerei nichts
aussagt. Die Wikipedia ist ein Projekt, charakterisiert durch das Anliegen,
möglichst viele Informationen zu sammeln bis hin zu Artikeln wie solche über
vergleichsweise unwichtige Romangestalten
(http://de.wikipedia.org/wiki/Intschu-tschuna). Der Brockhaus hingegen ist
ein Produkt, dessen Wert u.a. darin besteht, das wirklich wichtige Wissen
geprüft und in konsistenter Form zu präsentieren - und auf Artikel wie
solche über Winnetous Vater zu verzichten.

> - Wird es eine Art Kooperation oder Übernahme der freien Wiki-Inhalte
> geben?

Zunächst: Die Wikipedia-Inhalte sind nicht einfach "frei", sondern stehen
unter der GFDL (Gnu Free Document License). Diese Lizenz entstammt dem
angelsächsischen Raum mit seiner gänzlich anderen Urheberrechtstradition und
diente ursprünglich der Verbreitung von Software-Dokumentationstexten. Die
Anwendung dieser Lizenz, die Voraussetzung für jegliche Weiterverwertung der
Wikipediatexte ist, wäre rechtlich gesehen mindestens ein Vabanquespiel.
Eine erste kommerzielle Ausgabe der deutschen Wikipedia auf CD-ROM, die 2004
erschien, verstieß wahrscheinlich bereits gegen Regelungen dieser Lizenz.
Neben solchem juristischen Glatteis sind es aber in erster Linie die
inhaltlichen und konzeptionellen Unterschiede, die verhindern, dass man
einfach die Artikel der Wikipedia in den Brockhaus einstellen könnte.
Nichtsdestoweniger: Wir haben die Wikipedia-Macher als engagierte Community
kennengelernt, die eine Leistung erbracht hat, der man auf jeden Fall
Respekt zollen muss. Mit solchen Menschen führen wir gerne den Dialog - auch
darüber, welche Formen von Zusammenarbeit möglich und sinnvoll sind. Bei all
dem wird aber der Brockhaus der Brockhaus bleiben.

Mit freundlichen Grüßen

Bernd Kreissig
- Geschäftsführer - 

Brockhaus Duden Neue Medien GmbH
Dudenstr. 6
68167 Mannheim