[Wikide-l] 1 Jahr Alienbotschaften

Mathias Schindler neubau at presroi.de
Mi Apr 13 22:07:15 UTC 2005


Vor genau einem Jahr kam es zum ersten dokumentierten Kontakt zwischen 
Wikipedianern und Mitarbeitern des Verlages Bibliographisches Institut 
F.A. Brockhaus. Ein Wikipedianer hatte eine Liste mit Begriffen auf 
seine Nutzerseite gestellt, die einen Teil des Inhaltsverzeichnisses 
eines kleineren Brockhaus-Bandes bildeten. Extrem kurze Zeit später traf 
eine freundliche und bestimmte Mail eines leitenden Angestellten von 
Brockhaus ein, der die Löschung der Liste forderte. Es sei Zeichen des 
Wohlwollens gewesen, nicht gleich zu Anwälten zu rennen. Außerdem sei es 
mit den Lexika ja wie mit den Kugelschreibern. Es gebe kostenlose 
Plastikschreiber auf der Messe und teure im Laden und beide Märkte 
vertrügen sich.
Die Liste wurde schnell gelöscht und man verfasste kollaborativ eine 
Antwort an Brockhaus. Freundlich. Außerdem verbunden mit einer 
Einladung, sich doch auf der WOS03 zu treffen. Erwähnter Mitarbeiter 
konnte selbst nicht, schickte aber ein Mitglied seines Teams dorthin. In 
den nächsten Wochen wurde ein Treffen im Brockhaus-HQ in Mannheim 
vorbereitet, das dann auch irgendwann stattfand. Zwischenzeitlich waren 
wir über 100.000 Artikel geklettert und bei heise waren einige nette 
Artikel über Wikipedia erschienen.

Das Treffen in Mannheim war insofern ein Erfolg, als dass wir uns dort 
ein wenig umsehen konnten, man uns einige spannende Dinge zeigte und 
letztlich über einige Dinge reden konnte. Missverständnisse wurden nur 
bedingt ausgeräumt, die kulturelle Kluft war trotz einiger Symboliken 
sehr deutlich.

In den nächsten Monaten gab es immer wieder einzelne Dialoge. 
Unvergesslich ist der Satz beim ersten Mannheimer Treffen aus dem 
Brockhaus-Lager “Wir haben im letzten Jahr jeden relevanten Vergleich 
zwischen deutschsprachigen Lexika auf CD-ROM/DVD gewonnen”. Ein Jahr 
später können wir das in etwa auch sagen. Wikipedia zog - bezogen auf 
die Artikelqualität - Brockhaus und Encarta im ct-Test und im 
ZEIT-Vergleich ab. Die methodischen Schwächen des Tests sind jetzt mal 
zu ignorieren, wenn sie zu Gunsten von Brockhaus ausfallen, stört es 
auch niemanden.

In der Summe haben sich die meisten schönen Ansätze mit Brockhaus 
zerschlagen. Der Rückzieher kam dabei grundsätzlich aus Mannheim und in 
vielen Fällen trotz einer positiven vorherigen Aussage. Der Rückzug aus 
einem substanziellen Dialog ist dabei koordiniert.

Zu den möglichen Ursachen (z.B. “Wikipedia war süß, solange es nur als 
Hobby von aussen angesehen wurde”) lässt sich wenig mit Bestimmtheit 
sagen. Tiefenpsychologisch kommt man zu den Traumata, die sich der 
Verlag im Internet geholt hat und die das Ausmaß des Scheiterns 
vielleicht noch krasser offenbaren, als es die eigenen Bilanzen tun.

Ein Teil der Anspannung aus Mannheim konzentriert sich um die 21. 
Auflage der Enzyklopädie. Für den Verlag bedeutet dieses Projekt einiges 
und die personellen und letztlich auch die finanziellen Aufwendungen 
scheinen recht hoch zu sein. Die vage Hoffnung, daß man dort ab Herbst 
2006 wieder Vernunft angenommen hat, ist sicherlich kein besonderer Trost.

Solange der Verlag seine sorgsam aufgebauten Marketingflunkereien als 
branchenübliche Methoden deklariert, wird eh jeder Dialog problematisch 
sein. Ob es nun das Vertrauen in Texte, die Leistungsfähigkeit der 
Texte, die Prioritätensetzung, die verfügbare (Wo-)menpower ist. Ob es 
sich um die eigene Firmengeschichte handelt oder auch sonst etwas, das 
der Verlag in den letzten Jahren durch das Zerrspiegellabyrinth 
geschickt hat. Die Theorie, wonach ein Wechsel der policy erst mit einem 
Wechsel der Personen möglich ist, darf ruhig widerlegt werden.

Ich freue mich über jemanden, der ein positiveres Bild davon zeichnen 
kann. Wenn jemand Namen vermisst, so hatte das Methode.