[Wikide-l] Oh, mal wieder ein sehr netter Artikel
Ulrich Fuchs
mail at ulrich-fuchs.de
Do Okt 28 06:35:05 UTC 2004
> Ist es eine gewagte These anzunehmen, dass Wikipedia-Artikel
> a) im Laufe der Zeit immer besser werden, und
> b) dieser Prozess desto mehr Zeit benötigt, je komplexer der Gegenstand
> eines Artikels ist?
Ja. Es gibt kein Anzeichen dafür, dass diese These stimmt. Wir bekommen mit
der Zeit nur mehr Artikel, aber nicht bessere Artikel. Wir lügen uns
bezüglich der Qualität, die die Wikipedia zu produzieren in der Lage ist,
selber in die Tasche. Selbst das, was wir als exzellente Artikel bezeichnen,
sind amateurhafte Arbeiten auf dem Niveau eines (wenngleich guten)
gymnasialen Referats - weit davon entfernt, exzellent im eigentlichen Sinne
zu sein. Es ist nur nicht ganz so schlecht wie der Rest.
Es geht aber gar nicht um den aktuellen Zustand, sondern darum, dass dieser
Zustand sich nicht mehr zum besseren hin verändert (was vor einem Jahr noch
anders war). Die gegenwärtige Zusammensetzung der Community setzt der
Qualität der Artikel offenbar Grenzen. Die Artikel werden meines Erachtens
nur in Spezialbereichen besser, wo sich ein oder zwei Fachleute relativ
abgeschottet mit dem Thema beschäftigen, und sie sammeln jede Menge
Belanglosigkeiten (nicht neues Wissen) an, sobald diese Leute die Arbeit am
Artikel einstellen und ihn nicht ständig überwachen. Das ist kein Problem des
Wiki-Prinzips, das ist ein Problem von zu vielen Usern, die zu wenig wissen,
worauf es bei Enzyklopädieartikeln ankommt. Und dieses Problem ist
hausgemacht, weil die Mitglieder der ersten Wikipedia-Generation, die
ursprünglich mal Enzyklopädie machen wollten, diesen Usern nicht konsequent
genug den Stuhl vor die Tür gesetzt haben und die Community heute deshalb
eine andere ist, die das Steuer nicht mehr rumreißen kann.
> Wenn wir weitere Möglichkeiten erblicken, diesen Prozess zu beschleunigen,
> prima. Aber m.M.n. ist es viel wirkungsvoller, ein konstruktives,
> freundliches Arbeitsklima zu schaffen, als "Hobbyisten" aus dem Projekt zu
> vertreiben (sofern man letzteres für sinnvoll hält, was ich - es wird nicht
> überraschen - nicht tue). Beides ist nicht zwingend ein Gegensatz, hängt
> aber miteinander zusammen.
Nun, vielleicht liegt es ja am Hätscheln der Hobbyisten auf Kosten der
qualifizierten Teilnehmer, dass das Arbeitsklima weder konstruktiv noch
freundlich ist?
Kurt, ich weiß, das die klassische Wikiwelt "Wikilove" predigt. Aber wer ist
die klassische Wikiwelt? Wards Wiki mit ein paar hundert Änderungen täglich,
Meatball mit irgendwas zwischen 10 und 20? Wikipedia hat in Spitzenzeiten
einige Tausend Änderungen in der Stunde - Ich gebe zu bedenken, dass die
Prinzipien der kleinen Wikis möglicherweise nicht unbedingt auf unsere
Größenordnung übertragbar sein könnten, zumal sich die Erfahrungen dort auf
Wikis als Kommunikationsplattform einer Community (Wards Wiki) oder als
"General pupose wiki" (susnig) verstehen, bei uns aber das Wiki als Mittel
zum Zweck der Wissensorganisation gedacht war, nicht als
Kommunikationsmedium. Die größte Gefahr für die Wikipedia ist derzeit, dass
sie in Richtung Kommunikationsmedium driftet, weil die Teilnehmer offenbar
zunehmend vergessen, dass das Wiki nur ein Mittel zum Zweck der
Enzyklopädieerstellung ist, nicht der freie Webspace für alles und jedes.
Uli